Radierung: „Wasser des Heil. Geistes zur Bekehrung der Gottlosen“ (1700-1750)
Möglicherweise wurde diese Radierung der Größe 14,8 x 9,8 Zentimeter einst für eine fromme Publikation abgelehnt und hat sich daher als seltenes Einzelblatt in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB, Inventarnummer Graph. C 503) erhalten – genau aber kann man es nicht wissen. Jedenfalls hat es dem namentlich nicht überlieferten Verfasser keinesfalls an Fantasie gemangelt: Über dem zerfallenden Ägypten und Edom ganz unten erhebt sich eine Miniaturstadt, die hoch oben stolz über dem „Wein der Liebe“ und der „Milch der Unschuld“ schwebt. Die Architektur aller drei Stadtdarstellungen (ägyptische Stadt, Edom und Jerusalem) zeigen mitteleuropäische Kleinstädte der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Himmlische Jerusalem besitzt zusätzlich eine feste Stadtmauer und mindestens drei Sakralbauten, obwohl es laut der Johannesoffenbarung keinen einzigen haben dürfte.
Manche halten die Darstellung für ein Zweiwegebild, welches in der Mitte den engen Pfad in die Seligkeit zeigt. Das ist mitnichten so. Aus dem Haupttor Jerusalem strömt das Wasser des Lebens und verwandelt sich in einen reißenden Fluss, der die alte Schöpfung befruchten soll. Tragischer Weise sorgt er auch dafür, dass die Gottlosen in ihm ertrinken, dramatisiert durch einige Seeschlangen. Zwei kleinere Bäche entspringen aus dem Berg links und der Anhöhe rechts, obwohl traditionell meist vier Ströme (nach Angabe aus dem Alten Testament) gezeigt werden. Fazit: die Radierung, die auch handwerklich nicht überzeugt, birgt theologische Problematiken und Randthemen (wie den alttestamentarischen Ort Schittim, 4. Buch Moses, Kap. 25, Vers 1), was mglw. zu seiner Ablehnung führten. Ich habe weltweit lange nach weiteren Exemplaren gesucht, da ich anfangs dachte, es würde sich um eine Serie handeln; heute bin ich eher der Ansicht, wir haben einen seltenen Probedruck vor uns, der nicht in Produktion ging.