Aus der Zeit um das Jahr 1420 stammt eine der letzten mittelalterlichen Torszenen in Stein, die in Unterfranken angefertigt wurde. Es ist fast identisch mit einer ähnlichen Steinmetzarbeit am Würzburger Dom, so dass man einen gleichen Bildhauer oder zumindest die gleiche Bildhauerwerkstatt des Bistums vermutet.
Auf einem Detail des Westportals der römisch-katholischen Marienkapelle in Würzburg bewegen sich einige wenige Personen nach links, wo ein kleines Tor in das Himmlische Jerusalem führt. Die Pforte kragt mit einem Eck zum Betrachter, so dass von dem Bau zwei Seiten sichtbar werden – eine Meisterleistung der örtlichen Steinmetzkunst. Links sind unten Miniatursteine gesetzt, rechts sind sie mit spätgotischen Fischblasen ornamentiert. Die stehenden Personen (Papst, König, Bischof, dazwischen stets ein Betender mit gefalteten Händen) repräsentieren höhere Stände. Dieser Rhythmus von sich bewegenden Ständevertretern und statischen Adoranten ist ein Merkmal hoher Qualität. Darunter sind einfache, nackte Gläubige dargestellt, die sich gerade aus den Gräbern befreien. Über die Personen im Halbrelief wurde ein Wolkenfries gesetzt, der den Sandstein gleichzeitig als Wetterdach schützt.
Das Detail gehört zu einer umfangreicheren Gerichtsszene, bei welcher dem Himmlischen Jerusalem unten links eine Höllendarstellung gegenüber rechts zugeordnet ist. Das die Optik beeinträchtigende Gitter hinterlässt auf dem Bild ein irritierendes Raster und musste zum Schutz vor Tauben angebracht werden. Die Einzelheiten der Arbeit haben sich in dem Sandstein ungewöhnlich gut erhalten, das Relief darf sich zu den besten Weltgerichtsdarstellungen im deutschsprachigen Raum zählen.
Rudolf Kuhn, August Burk: Marienkapelle in Würzburg, Würzburg, um 1965 (3).
Elmar Hofmann: Die Steinmetzzeichen an der Marienkapelle in Würzburg, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter, 60, 1998, S. 225-255.
Wolfgang Schneider: Marienkapelle Würzburg, Regensburg 2008 (5).
Claus Bernet: Torszenen, Himmelspforten, Porta Coeli, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 11).