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Georg Friedrich Winter (1710-1799) „Chimonius“: „Hierosolyma Apocalyptica“ (1765)

Der lutherische Pastor Georg Friedrich Winter (1710-1799) verbrachte viel Zeit damit, in Birkenwerder bei Berlin über endzeitlichen Texten zu brüten. In seinen Schriften, geprägt vom Pietismus, meldete er sich immer wieder mit spekulativen Beiträgen zu Wort. Hätte er diese chiliastischen Zeugnisse unter seinem Namen erscheinen lassen, hätte er sein Pfarramt sofort verloren. Daher wählte er das Pseudonym „Chimonius“, unter dem auch die „Hierosolyma Apocalyptica“ 1765 in erster Auflage in Berlin erschien.
In „Hierosolyma Apocalyptica“ klärt Winter/Chimonius darüber auf, wo auf Erden das Himmlische Jerusalem erscheinen werde, was darunter eigentlich verstanden werden müsse und wie dessen äußere und innere Gestalt und Beschaffenheit angelegt sei. Allen allegorischen, symbolischen, mystischen oder geistlichen Interpretationen des Offenbarungstextes wird eine Absage erteilt. Kapitel 20 bis 22 der Apokalypse, die die Schilderung des Tausendjährigen Reiches und des Himmlischen Jerusalem beinhalten, beschrieben nicht Ereignisse in einem ewigen Leben, sondern präsentierten eine irdische Gesellschaftsform.
In der Schrift enthalten ist auch eine ziemlich genaue Lokalisierung des Himmlischen Jerusalem als Landkarte, übrigens die erste ihrer Art: Zwischen Frankreich, Afrika, Griechenland, der Schweiz und Österreich wird die gigantische Stadt liegen, die in sich nochmals in sieben Ballungszentren aufgeteilt ist. Grenzstädte des Himmlischen Jerusalem sind, laut Winter: Genf, Graz (Steiermark), Gare (Bosnien) und Rimini. Gleich nebenan brennt südöstlich des Himmlischen Jerusalem die päpstliche Stadt Rom – eine groteske Mischung aus dem Stadtbrand des Kaisers Nero, Babelvorstellungen und Höllenszenarien. Die Einwohner nähern sich der rettenden Stadt, zumeist über das Schwarze Meer die Donau entlang, bis nach Ungarn, wo sich eines der zwölf Stadttore des Himmlischen Jerusalem befindet.
Zu den Buchstaben in der aufklappbaren Karte (zwischen S. 24 und 25) gibt es eine Entschlüsselung, die manches deutlicher macht:
a: Gottvater
b: Die Stadt Himmlisches Jerusalem
c: Die Grenzstädte Genf, Graz, Gare und Rimini
d: Zwölf Tore
e: äußere Linie, die den Umfang des Himmlischen Jerusalem zeigt
f: Quelle der Donau
g: Quelle der Drau
h: Ölberg im Herzogtum Krain
i: Philadelphische oder judenchristliche Gemeinde
k: Ausfluss des Stroms ins Schwarze Meer, und von dort ins Kaspische Meer
l: Sieben Gemeinden in Asien
m: Rom
n: „Teil der Leichen“
o: Ancona, wo ein Heer von 200.000.000 Reitern nach der sechsten Posaune landen wird
p: Saronno im Herzogtum Mailand, wo sich die Gemeinde Smyrna, bzw. die Hugenotten einfinden
q: Bergamo, wo sich die Gemeinde Pergamon, bzw. die Waldenser einfinden.

Rainer Thieswald: 150 Jahre Evangelische Kirche zu Birkenwerder, Oranienburg 1999.
Claus Bernet: Der lange Weg aus der Konfession in den radikalen Pietismus: Von Babel in das Himmlische Jerusalem – am Beispiel von Leonhard C. Sturm, Elias Eller und ‚Chimonius’, in: Fred van Lieburg (Hrsg.): Confessionalism and Pietism. Religious Reform in the Early Modern Period, Mainz 2006, S. 255-281.

 

tags: Berlin, Eschatologie, Pietismus, Landkarte, Utopie, Chiliasmus
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