
Die in Rybinsk, Russland, geborene Künstlerin Larissa Lando, die auch als Modezeichnerin hervorgetreten ist, zählt zu den messianischen Juden: Diese halten Jesus Christus nicht nur für den Erlöser der nichtjüdischen Nationen, sondern sehen in ihm auch den durch die Schriften des Tanach verheißenen Retter Israels. Die Bibel – dazu gehören für sie sowohl die Schriften des Tanachs als auch die des Neuen Testaments – bildet für sie die Grundlage des Glaubens, der Lehre und der Lebensführung. Sie sind der Überzeugung, dass sie in ihrer Ganzheit durch Gott inspiriert sind.
In der Menge religiöser, auch biblischer Malereien entstanden 1999 gleich drei Werke zum Himmlischen Jerusalem von Larissa Lando. Das erste ist vielleicht die bekannteste Malerei von Lando, es fand noch 2024 Aufnahme in einen Kalender mit zwölf ausgewählten Werken der Künstlerin.
Bilder des Heiligen Landes stehen im Zentrum des Schaffens von Larissa Lando. Hier ist das Himmlische Jerusalem eher das Neue Jerusalem, das in einem engen Bezug zum „alten“ Jerusalem in Palästina steht. Die Stadtvision erhält Johannes nicht auf Patmos, sondern in der Wüste Galiläas. Er ist als Schäfer mit Hirtenstab und landestypischer Bekleidung eine Postfiguration Christi in einer ansonsten unbelebten Landschaft. Vor einem mehrschichtigen rötlichen Bergmassiv erhebt sich das Neue Jerusalem. Die Stadt strahlt von dort gelbweißes Licht auf die Welt. Deswegen nicht leicht zu erkennen ist ein offenes Tor, etwa in der Mitte der Ummauerung, das in das Stadtinnere leitet. Die Stadt besteht aus zahlreichen individuellen Häusern, wie man sie auch heute in Israel und Palästina noch vielfach findet. Ihr Aufbau gleicht, in Anlehnung an die Trinität, einer Dreiecksform, wie auch der Berg selbst als Dreieck konzipiert ist.
Die folgende Malerei ist deutlicher als das Himmlische Jerusalem zu erkennen. Eindrucksvoll öffnen sich an der Frontseite der Stadtmauer drei Perlentore. Die Flügel der Tore sind jeweils die Hälfte einer Perle, die zur Seite gerückt sind, um winzigen menschlichen Figuren Einlass zu gewähren. Nimmt man deren Größe als Maßstab, so haben die Perlen eine Größe von etwa 18 Metern. Martialische Engel, mit Schwertern bewaffnet, bewachen das Betreten der Stadt. Die Mauer zwischen den Tore zeigt unten die zwölf Schichten von Edelsteinen. Dahinter erheben sich zahlreiche Bauten zu einer Pyramide, im Prinzip ähnlich angeordnet und farbig ausgestaltet wie in der ersten Malerei. So viel Sorgfalt auf Textgenauigkeit bei der äußeren Wiedergabe der Stadtmauer gelegt wurde, so wenig spielt Textgenauigkeit im Inneren eine Rolle: Weder finden sich Gerettete, noch das Lamm auf seinem Thron, der Lebensbaum oder der Lebensfluss.
Die dritte und letzte Malerei zum Himmlischen Jerusalem ist im Prinzip ein Ausschnitt der vorherigen Stadtansicht. Es handelt sich um das mittlere der drei Tore. Die Stadtmauer, der Engel im Stil von Evelyn De Morgan (1855-1919) und das Perlentor blieben unverändert. Neu hinzugekommen ist der Blick in die Altstadt Jerusalems durch das Tor, die vier Personen davor werden förmlich von der Schönheit angezogen. Ungewöhnlich sind die beiden Handkarren links vor dem Tor, beladen mit Steinen, T-Trägern und Hölzern. Geht hier der Bau Jerusalems noch weiter, oder müssen sich damit diejenigen eine Unterkunft bauen, die vom Betreten der Stadt ausgeschlossen sind?