Ulrich Leive (geb. 1957): Leive-Bibel (1984)

Ulrich Leive wurde 1957 in Osnabrück geboren. Er studierte zunächst Jura, wandte sich jedoch der Malerei zu und ist seit 1984 als freischaffender Künstler tätig.
Seine Gouache „Das neue Jerusalem“ entstand im Jahr 1984, als Leive einen Zyklus mit etwa 750 Motiven zur Bibel anfertigte, die, nach Aussage des Künstlers, nicht von theoretischen Überlegungen geprägt waren, sondern von dem Bestreben, Malerei möglichst spontan freien Lauf zu lassen. Es sind Werke auf 59 x 42 Zentimeter großem Papier, mit Gouache, also deckenden Wasserfarben aufgemalt. Der Zyklus entstand über die Jahre 1980 bis 1987 hinweg. Die Malereien sind in einem positiven Sinn kindlich-naiv – eine Stilform, die vor allem dem Himmlischen Jerusalem, wo die Menschen ja sündlos wie die Kinder leben sollten, angemessen ist. Leives Werk reiht sich da ein in vor allem spätere Werke des Neuen Jerusalem, an denen zum Teil auch Kinder mitgearbeitet haben, von Remigius Meier und Ida Täubert (2012), Fons Lutz (2001), Mechtild Denecke (2008).

Um das rechteckige Innenbild sind an den Seiten rote Quadrate gesetzt. Es sind die Tore des Himmlischen Jerusalem mit den aufgesetzten Wächterengeln. Es ist eine der ganz wenigen (vielleicht überhaupt ersten?) Darstellung, bei der die Engel ebenso nackt wie die Menschen sind. Die vier Wesen in den Ecken des Gemäldes sind die vier Symbole der Evangelisten, die die Stadt hier nach außen bewachen. Unten ist der Davidstern gesetzt, um auf die jüdischen Wurzeln der Stadt zu verweisen, davon rechts gesehen (bei dem Wesen „Stier“/Lukas) ist das Werk auch datiert und signiert.

Das innere Bild im Bild lässt fröhliche Menschen unter einem schwebenden Lamm versammeln. Links wie rechts befinden sich Bäume, die offensichtlich rote und grüne Früchte tragen. Die Doppelung, die die Menschengruppe auch rahmt, wird unten nochmals mit zwei Löwen fortgesetzt, eine Anspielung auf das Motiv des ewigen Tierfriedens.
Alle Bewohner sind nackt. Dazu noch einmal der Künstler in einem Interview von 2007: „Wieso seien meine Personen fast immer nackt? – Darauf antworte ich: Wieso sind Michelangelos Personen in der Sixtina nackt? (…) Meine Menschen sind erstmal nur Menschen, man sieht sie als Geschöpfe, wie sie aus dem Mutterleib gekommen sind, sie verbergen nichts, sie sind Kinder Gottes, es gibt keine Rangordnungen durch Kleider.“

Claus Bernet: Das Himmlische Jerusalem in Deutschland, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 27).

 

tags: naive Kunst, Nacktheit, Bibelausgabe
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