Ines Brunold (geb. 1932): Aquarelle zur Johannesoffenbarung (1984)

Nicht in allen Fällen gelingt es, zu noch lebenden Künstlern oder Künstlerinnen Kontakt aufzunehmen, um mehr über Leben und Werk zu erfahren. Ines Brunold ist solch ein Fall. Nicht wirklich viel war, trotz einer Reise in die Schweiz und Nachforschungen zum Verlag Heinrich Möller & Söhne, der nicht mehr existiert, herauszubekommen. Man weiß lediglich, dass sie 1932 in Chur geboren wurde und in Churwalden lebte.
1984 erschien der Band „Mit den Augen einer Malerin“ mit Zeichnungen zur Johannesoffenbarung. Ansonsten sind kaum Kunstwerke von Ines Brunold zu identifizieren, weder vor noch nach 1984. Schon ein solcher hochwertiger Farbdruck in Leinen gebunden lässt auf eine bekannte Persönlichkeit schließen, die auch im Titel als Malerin bezeichnet wird, als wäre sie damit bereits der Öffentlichkeit bekannt. Genau zehn Jahre später erschien noch „Mein Gebetbuch: Gebete nicht nur für Kinder“ mit einigen Farbillustrationen der Künstlerin, einen Aufsatz von ihr findet sich in dem Band „Alice Boner – Artist and Scholar“ von 1982. Lediglich noch ein Aquarell zu Ezechiel Kap. 37 aus dem Jahr 1969 und ein Aquarell zu Buch Daniel 14 von 1970 sind über die Jahre aufgetaucht – dass steht in einem Widerspruch zu einer Kunstdatenbank, die Brunold als Malerin, Zeichnerin, Grafikerin, Designerin von Glasfenstern, Mosaiken, Wandbildern und sogar Sgraffitos und Holzschnitten anführt, ohne auch nur ein konkretes Werk anzuführen. Immerhin: In der katholischen Kapelle St. Katharina und Barbara in Zuoz (Graubünden) findet man ein Bild der St. Katharina (1963), ebenso Glasfenster von ihr.
Vor dem Hintergrund dieser wenigen Werke gewinnen die zahlreichen Darstellungen des Himmlischen Jerusalem eine ganz besondere Bedeutung – es muss als das Hauptthema der Künstlerin gelten. Es überrascht auch die Variationsbreite des Gegenstandes und die hohe Qualität der Arbeiten. Entweder hatte Brunold eine Ausbildung zur Malerin, oder sie hatte sich vor 1984 ein erstaunliches Können angeeignet.
Die erste Abbildung pars pro toto ist eine Pforte der Himmelsstadt (oben). Ihre Flügeltüren scheinen geradezu aufzuspringen, gekonnt setzten sich die Farbbögen in der Tür im Beschlagwerk fort. Ein Mann mit wehendem Mantel ist gerade dabei, die himmlische Welt zu betreten. Von dieser sieht man erst einmal eine Zahl von Adoranten, die ehrfurchtsvoll Kronen emporhalten. Eine Besonderheit, die sich fortsetzen wird: die Figuren sind hier ohne Gesicht wiedergegeben.
Die folgenden acht Illustrationen kann man in eine farbige und eine weiße Gruppe von jeweils vier Malereien einordnen. Zunächst soll er um die vier Illustrationen der Farbgruppe gehen:

S. 86 zeigt das Neue Jerusalem gleich zwei Mal, einmal oben mit einer weiblichen Figur in der Mitte (Maria), dann darunter als flächiger Grundriss, von Sphären und Sternen mit einem kosmischen Kontext versehen. S. 87 bringt zahlreiche menschliche Wesen, die drei Toren zustreben. Auf S. 90 erscheint ein mächtiger Christus in weißem Gewand auf seinem Thron. Darunter hat Ines Brunold den Umriss der Stadt mit einem Davidstern verfochten – ein einzigartiger Einfall in der bald zweitausendjährigen Ikonographie des Themas Himmlisches Jerusalem. S. 93 ist im Prinzip eine Weiterentwicklung von S. 86. Hier wendet sich Maria dem Lamm Gottes zu, und die Stadt darunter ist in einen Kreis von Kristallen gefasst. Links sehen wir noch Johannes und seinen englischen Begleiter beim Betrachten der Himmelserscheinung.

Die vier folgenden Illustration zeigen jeweils eine weiße quadratische Stadt mit zwölf Toren, die in eine gewaltige Scheibe aus konzentrischen Kreisen gesetzt ist. Das Rund wird in der Stadtmitte wiederholt. Auf S. 94 und 95 spiegelt sich die weiße Stadt mit ihren Baustoffen, den Kristallen, den Edelsteinen, den Perlen. Auf diesen beiden Illustrationen werden Johannes und der Engel dabei gezeigt, wie sie vom Zionsberg aus die Stadt vermessen. Dabei teilt ein gewaltiger Maßstab die Blätter jeweils in zwei Hälften. S. 96 lässt das Lamm in der Stadt mit den sieben Hörnern erscheinen, ein schwer zu deutendes Detail, dass einmal mehr die Textgenauigkeit der Malerin belegt. Einfallsreichtum und Novitäten verbinden sich hier mit Tradition und Schriftkenntnis. Das Lamm ist auch Thema des letzten Aquarells auf S. 97: Zahlreiche Menschen streben zu ihm mit dem „Buch des Lebens“. Manche machen mit Harfen Musik, andere tragen grüne Weihrauchfässer, wieder andere rote quadratische Pakete. Es sind die Völker der Welt, die ihre Gaben dem Lamm präsentieren (in Analogie zu den Gaben der drei Magier bei der Geburt Jesu). Dramatische Szenen spielen sich vor den Toren ab: Dort liegen Menschen am Boden – Verworfene, die die Stadt nicht betreten dürfen.

Ines Brunold: Mit den Augen einer Malerin – Offenbarung des Johannes in Bild und Wort, Rendsburg 1984.

 

tags: Schweiz, Esoterik, Apokalypsezyklus
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