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Die evangelische Emmauskirche in Berlin-Kreuzberg ist eine mächtige Backsteinkirche aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Wie fast alle Innenstadtkirchen erlitt das Gebäude schwere Kriegsschäden, so dass man lediglich das Äußere des historischen Kirchturms mit einem Mosaik über dem Eingangsportal erhalten hat, das eigentliche Kirchenschiff dahinter von 1956 bis 1959 jedoch komplett neu aufzog. Für die Glasfenster und die Innendekoration war die Künstlerin Inge Pape (geb. 1937) von der Berliner Traditionsfirma „August Wagner, vereinigte Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei“ verantwortlich.
Der neue Haupteingang befindet sich zwischen dem historischen Turm an der Hochbahn und dem Gemeindesaal zum Lausitzer Platz. Da sich bereits über dem alten Eingang ein Mosaik befand, kam die Idee auf, auch am Neubau diese Tradition fortzuführen. Jetzt war es jedoch nicht Christus mit den Emmaus-Jüngern, sondern die alte (rechts) und die neue (links) Welt. Auch das Format hatte sich geändert, von einem vertikalen Rundbogen hin zu einem horizontalen schmalen Band. Ein wesentlicher Unterschied ist die Sichtbarkeit: Während das alte Mosaik bewusst von der Straße und der Hochbahn aus ein leuchtendes Zeichen setzt, befindet sich das neue Mosaik in einem dunklen Vorraum und ist von außen nicht sichtbar.
Die Breite des Bandes ist ein halber Meter, die Länge sechs Meter. Es erstreckt sich damit über beide Flügeltüren und wird seitlich jeweils einen Meter fortgeführt. Dort stehen zwei backsteinverkleidete Pfeiler, so dass es aussieht, als würde das Mosaikband auf diesen Pfeilern ruhen.
Das Mosaik wurde 1961 angebracht, also kurz nach der Einweihung der neuen Kirche 1959 und unmittelbar vor dem Bau der Berliner Mauer. Der Entwurf geht auf Inge Pape zurück. Diese war viele Jahre bei August Wagner angestellt – diese Firma wurde für das Mosaik ausgewählt, da sie zum einen eine langjährige Erfahrung solcher Arbeiten besaß, dann aber auch, weil sie bereits das alte Mosaik aus der Kaiserzeit ausgeführt hatte. Nachdem 1961 die Mauer stand, machte Pape sich in Westberlin als freischaffende Künstlerin selbstständig, mit einem Schwerpunkt auf Glasfenster für Kirchen – Mosaikarbeiten sind in ihrem Schaffen die Ausnahme.
Das Konzept entspricht dem traditionellen Aufbau eines Weltgerichts: links die neue Welt, also das Himmlische Jerusalem, in der Mitte der auferstandene Christus (der das Buch des Lebens präsentiert) und rechts die alte, untergehende Welt. Aus Platzgründen wurde auf Vielerlei Beiwerk, wie die Totenauferstehung, den Regenbogen, Heiligenfiguren oder Engel verzichtet; die wenigen Bildelemente sind vor allem architekturbezogen.
Von der Stadt sehen wir vor allem Rundbögen, die offen zu stehen scheinen. Dazwischen finden sich Mauerpartien, die sich vom unteren bis zum oberen Rand ziehen. Es sind Flächen aus hellen grünen, gelben und orangefarbenen Steinchen, zwischen die immer wieder Fenster, vielleicht auch Türen gesetzt sind, ohne dass aber herkömmliche Häuser entstehen.
Diese findet man auf der gegenüberliegenden Seite. Hier wird es dunkel, die vorherrschenden Farben sind Grau und Braun, weiße und rote Steinchen deuten Rauch und Feuer an. Die Bauten entsprechen einer modernen Stadt: Hochhäuser mit ihrer eintönigen Lochfassade. Dabei ist bemerkenswert, dass so gut wie alle Künstler die untergehenden Städte, wie auch im hiesigen Fall, als moderne Stadt mit Hochhäusern und manchmal auch Autobahnen zeigen – in der Kritik war damals jedoch die historische Architektur, also abwechslungsreiche Bauten mit Schmuck, Ornament und Verzierung.
Georg Malchin: Festschrift zur Feier des 75jährigen Bestehens der Emmaus-Kirche in Berlin-Kreuzberg am 16. Juni 1968, Berlin (1968).
Günther Kühne, Elisabeth Stephani: Evangelische Kirchen in Berlin, Berlin 1978.
Marina Wesner: Kreuzberg und seine Gotteshäuser. Kirchen – Moscheen – Synagogen – Tempel, Berlin 2007.
Volkhard Böhm: Inge Pape – oder wie eine junge Künstlerin Licht in Kirchen bringt, in: Ostkreuz. Evangelisches Magazin für Friedrichshain, Juli/August 2013, S. 20.