Ernst Steiner (1935-2024): Gemälde „Burg auf dem Berge“ (1974)

Der in der Schweiz geborene und in Wien lebende Künstler Ernst Steiner (1935-2024) hatte für seine Generation eine umfangreiche Ausbildung hinter sich: Er besuchte die Kunstgewerbeschule in Zürich, die Akademie für angewandte Kunst in Wien, die Akademie der bildenden Künste in Wien und absolvierte schließlich ein Musikstudium, ebenfalls in Wien. Er hat dann als Universalist mit verschiedenen Medien experimentiert, die eint, zum Surrealismus zu gehören, was Steiner als eine Technik empfand, die man zeitungebunden bei verschiedenen Kulturen in verschiedenen Epochen ausmachen kann. Steiner selbst war in Wien eng mit Kollegen wie Arik Brauer, Rudolf Hausner, Anton Lehmden oder Ernst Fuchs verbunden – in diesem Kreis spielte religiöse Kunst nur eine Nebenrolle, die christliche Kunst eine noch geringere Rolle und das Himmlische Jerusalem als Motiv fast gar keine Rolle (Ausnahme: ein spätes Werk von Ernst Fuchs). Einige Werke Steiners sind da eine besondere Entwicklung. Anfang der 1970er Jahre entstand zunächst die profane Lithographie „Burg auf Berg“, die schon einige der folgenden Ölmalerei vorformulierte. 1974 fertigte Steiner dann seine erste Arbeit zu dem Thema Himmlisches Jerusalem an. Eine Vorstudie aus dem gleichen Jahre befindet sich in der Albertina Wien, eine Farbradierung (Platte: 27 x 20,5 Zentimeter; Blatt: 65 x 50 Zentimeter; Inventarnummer DG1975/17).

Steiner griff in dieser Darstellung das Motiv des Zwei-Wege-Bildes auf, in Anlehnung an Gillis Mostaert und Jan Micker. Zwei Stadtmauern, die hintereinander gesetzt sind, umschließen einen steilen Berg. Zu dessen Gipfel führen mehrere schmale Pfade, die zwei Mal das jeweilige Tor der Stadtmauern passieren. Links und rechts, neben dem Paradiesbaum (mit der Schlange für den Tod, aber auch die Weisheit) und dem Baum des Lebens (mit einem Sonnen-Christus für das Leben), zieht sich die Stadtmauer im Hintergrund fort und macht aus dem Garten im Vordergrund einen hortus conclusus. Höhepunkt dieser paradiesischen Szenerie ist die Stadt auf dem Berg, die wie ein Fantasieschloss gestaltet ist, eingeschlossen in einer magischen Kugel. Weitere Kugeln (Perlen? Planeten?) ziehen in konzentrischen Kreisen um die Stadt. Steiner wollte, so schrieb er zu diesem Gemälde, an die Gralsburg erinnern, in der in einer heiligen Schale das Blut Jesu aufbewahrt wird. Otto Betz (1917-2005), der sich als Erziehungswissenschaftler und Theologe um die Vermittlung apokalyptischer Bildinhalte verdient gemacht hat, schrieb dazu: „Ernst Steiner hat einen steil ansteigenden Berg in die Mitte seines Bildes gerückt. Wie eine unwirkliche Vision taucht er plötzlich auf. Während die unteren Bereiche noch der erfahrbaren Realität nahestehen, sind die höheren Regionen von einer Hoheit bestimmt, so daß sich jeder fragen muß, ob er sich zutrauen kann, dort hinaufzugehen. Auf der Spitze liegt die Gralsburg, rotleutend (sic!) wie eine mit Edelsteinen besetzte Krone. Sie ist von einer geheimnisvollen Aura umgeben und die Andeutung eines Regenbogens strahlt hinter ihr auf“.

 

Steiners Beschäftigung mit dem Thema führte dann zu einer privaten Auftragsarbeit. 1983 entstand das einfarbige Ex-Libris „Wandlung“ (11 x 8 Zentimeter). Es ist eine Radierung, die Steiner für einen römisch-katholischen Priester entworfen hat. Altartisch und Kalvarienberg, Licht und Dunkel, ergeben zusammen ein Ganzes, das eine sechseckige Zelle bildet, mit der Hostie samt dem Gottesauge als Zellkern. Die Wege zum Himmlischen Jerusalem mit seinen drei Toren ergeben die Form einer Menora.

Alfons Rosenberg: Ernst Steiner. Himmlisches im Quadrat, in: Das Kunstkabinett Rosenberg, 4, 1972, S. 5 -10.
Angela Völker: Ernst Steiner, in: Alte und moderne Kunst, 186/187, 28, 1983, S. 49.
Otto Betz: Himmlisches Jerusalem, in: Die Burg auf dem Berge, München 1992, S. 80-81.
Ernst Steiner: Jenseits des Tages. Träume eines Malers, Wien 2007.

 

tags: Surrealismus, Gral, Wien, Fantasie, Burg, Gipfel, Sonne, Schlange
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