Eines der ältesten und mit etwa 80 Quadratmetern größte Exemplar eines Fastentuchs ist dasjenige im Dom zu Gurk in Kärnten. In ganz Österreich ist dieses einzigartige Kulturdokument nicht allein die älteste textile Darstellung des Neuen Jerusalem, sondern die älteste Darstellung zahlreicher weiterer biblischer Szenen und Symbole. Mit seiner gewaltigen Dimension verhüllt der künstlerische Höhepunkt des Meisters Conrad von Friesach den gesamten Altarraum des romanischen Domes während der Fastenzeit, ansonsten ist das Tuch in der Schatzkammer des Doms ausgestellt.
99 Einzelmotive werden in horizontal angeordneten Streifen gezeigt. In seiner Motivverknüpfung und in der erzählerischen Bildstruktur ist das Gurker Fastentuch ein typisches und frühes Beispiel sequenzieller Kunst. Auf zwei vertikal voneinander getrennten Teilen stellen die Einzelbilder in einer Folge von Rechteckfeldern alttestamentarische und neutestamentarische Szenen in einer Auswahl nach dem Heilsspiegel und nach der Biblia Pauperum dar, u.a. auch ein Jüngstes Gericht.
Man findet diese Szene als letzte ganz unten rechts. Im Gegensatz zu den höher gelegenen Szenen ist dieses Detail auf Augenhöhe gut zu erkennen. Gleichzeitig ist diese Zone Beschädigungen besonders ausgesetzt – so wurde ein verloren gegangener Teil lediglich durch beigen Stoff ersetzt.
Die Himmelspforte auf der linken Seite mit Petrus samt Schlüssel und einigen Personen davor (u.a. der Papst und Kaiser, auch ein Ritter und Frauen) ähnelt zahlreichen Wandfresken dieses Motivs im Spätmittelalter. Ungewöhnlich ist die marmorweiße Farbgebung und die damit kontrastierende schwarze Fahne auf dem Dach des Tores. Ihr Wehen nimmt die Schwingen der Engelsflügel auf, die wie die Ornamentierung des Papstmantels oder die Strahlen in der zentralen Mandorla die höchste Qualität dieser Textilarbeit verraten.
Selten zu sehen: ein Blick auf die Rückseite des Fastentuchs.
Otto Rainer: Dom zu Gurk – Fastentuch, Gurk 1984.
Othmar Stary, Wim van der Kallen: Das Fastentuch im Dom zu Gurk. Bilder aus der Geschichte Gottes mit dem Menschen, Klagenfurt 1994.
Wilhelm Deuer, Wim van der Kallen: Der Dom zu Gurk, Gurk 1995.
