Giorgio de Chirico (1888-1978): Apokalypsezyklus (1941)

Von dem italienischen Maler Giorgio de Chirico (1888-1978) existiert ein umfangreicher Apokalypsezyklus, der das alte Thema in neuem, ungewohntem Gewand zeigt. Die figürlichen und detailfreudigen Lithographien (jeweils 50 x 35 Zentimeter groß) erschienen erstmals 1941 im Druck, in einer wahrlich apokalyptischen Stimmung: italienische Soldaten hatten Kreta besetzt, kämpften in Libyen, Nigeria und Eritrea und am Ende des Jahres hatte Italien den USA den Krieg erklärt. Dennoch muss die Serie in großer Auflage erschienen sein, man findet sie immer wieder auf Auktionen oder in Sammlungen, wie im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen, im Hammer-Museum Los Angeles, in der Manhattan Rare Book Company, dem Kunstmuseum von Toledo, um nur einige zu nennen. Das Jerusalemsblatt ist dabei stets zwischen den Seiten 130 und 131 eingefügt. Johannes erscheint im Vordergrund als einfacher Pilger, der vor der Stadterscheinung ehrfurchtsvoll in die Knie gesunken ist. Er befindet sich in einer mediterranen Landschaft, vor ihm öffnet sich das Mittelmeer. Hoch oben senkt sich eine Stadt in einer Art Schale oder Tuch hernieder, die von Engeln gehalten werden könnte. In ihr sind zahlreiche kleine Wohnbauten eingesammelt. Traditionelle Merkmale eines Himmlischen Jerusalem fehlen allerdings, man findet weder die zwölf Perlen oder Tore, auch keine Stadtmauer und nicht den Thron Gottes. Ebenso wirkt auch die obere Welt, wie bereits die untere, tot und verlassen, es fehlen die Geretteten, Christus, Heilige oder das Lamm Gottes.
1977, ein Jahr vor dem Tod des Künstlers, erschien die gleiche Zeichnung als Teil von 21 Lithographien, die nachträglich handkoloriert wurden. Hier stammt die kolorierte Fassung aus der Privatsammlung Fondazione Giorgio und Isa Chirico in Rom.

Giorgio de Chirico (1888-1978) gilt als Hauptvertreter der „metaphysischen Malerei“, einer speziellen Variante oder Vorläufer des Surrealismus in Italien während des Faschismus. Ab 1930 kam ein pathetischer, neubarocker Einfluss hinzu; Chirico kritisierte nun die klassische Moderne und forderte einen monumentalen, klassizistischen Stil. In seinem Schaffen spielen Traum und Vision stets eine wesentliche Rolle, von daher lag es inhaltlich nahe, sich auch mit der Apokalypse zu beschäftigen. Sein römisches Spätwerk, in dem er sich wieder der figürlichen Malerei und auch religiösen Themen widmete, ist weniger bekannt als seine provokativen Arbeiten aus den Jahren vor 1945, aber durchaus von eigener Qualität. 

L’Apocalisse. 20 litografie originali di Giorgio de Chirico. Introduzione di Massimo Bontempelli, Milano 1941.
Susanne von Falkenhausen: Notiz zur ästhetischen Inszenierung des Führers im italienischen Faschismus, in: Klaus Behnken, Frank Wagner (Hrsg.): Inszenzierung der Macht, Berlin 1987, S. 243-252.
Alessio Geretti (Hrsg.), Apocalisse. L´ultima rivelazione, Milano 2007.
Giorgio de Chirico: Monsieur Dudron. Autobiographischer Roman, Bern 2000.
Dieter Scholz: Faschistische Bilder in der Nationalgalerie? In: Jahrbuch der Berliner Museen, 53, 2011, S. 131-146.

 

tags: Faschismus, Rom, Apokalypsezyklus, Lithographie
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