Der Bildhauer Rodeau arbeitete im Verborgenen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fertigte er in seiner Werkstatt eine Vielzahl kleiner, meist nur wenige Zentimeter große Schmuckstücke, Amulette, Medaillons und ähnliches an. Überwiegend sind es Heiligenporträts, Madonnenbilder, biblische Szenen. Die Mehrzahl dieser Werke wurden aus Sepiolith (Meerschaum) geschnitzt, bereits nachweislich unter Zuhilfenahme frühindustrieller Maschinen. Vor mir haben schon andere mehr oder weniger verzweifelt nach genaueren Informationen zu diesem Künstler oder Kunstbetrieb gesucht, an gesicherten Informationen ist inzwischen bekannt:
-Rodeau hatte seine Werkstatt in Paris, in der 16 rue Grenier St-Lazare;
-knapp 50 Reliefarbeiten können Rodeau zugeschrieben werden, die ausnahmslos über Auktionen bekannt wurden; staatliche Sammlungen mieden seine Werke, vermutlich galten sie als minderwertig oder zweitrangig, auch die niedrigen Verkaufspreise deuten darauf, dass es sich hier nicht um einen bahnbrechenden Meister, sondern eher um einen soliden Drittbrettfahrer der seriellen Massenproduktion handelte;
-Rodeaus Werke sind meist mit „Deposé Rodeau“ oder ausschließlich „Rodeau“ signiert;
-die Schaffenszeit lässt sich auf den Zeitraum 1860 bis 1890 eingrenzen.
Unter den Amuletten, Reliquiaren und Schmuckstücken Rogenaus ist dieses Exemplar wiederum eine Ausnahme: Während die allermeisten anderen Werke eine weiße Färbung haben (die Elfenbein oder Marmor imitiert), ist eine einheitlich bräunliche Tönung selten. Es ist hier dem Material, künstlich patinierter Bronze, geschuldet. Auch die Apokalypse wurden von Rodeau ansonsten nicht als Thema aufgegriffen. Rodeau kopierte nun nicht etwa ältere Holzschnitte oder Kupferstiche, sondern präsentiert uns seine eigene Bildkomposition: Das 20 x 15 Zentimeter große Relief zeigt oben mehrere Figuren, lediglich eine davon (rechts) ist ohne Flügel – dieses ist vermutlich Johannes, dem von den Engeln die Stadterscheinung gezeigt wird.
Die Art der Stadtdarstellungen darunter ist typisch für Werke der Neorenaissance: einzelne klobige Bauten, Tendenz in die Horizontale, ein sich verjüngender Rundturm. Verzichtet wird hier nicht nur auf Mauern (was man öfters findet), sondern sogar auf ein Zugangstor, welches doch Hoffnung vermitteln sollte. Spektakulär und einzigartig war die Idee, die Stadt in mächtige Felsen einzubauen, wie sich überhaupt Felsformationen auf dem Werk mehrfach finden lassen. Weitere Jerusalemsmerkmale sind natürlich die Bäume links und rechts (Baum der Erkenntnis, Baum des Lebens), dann auch das Wasser des Lebens, welches aus dem Fels entspringt.