Wolf-Dieter Kohler (1928-1985): evangelische Kirche in Degenfeld (1963)

Degenfeld am Aufstieg zur Schwäbischen Alb hat mit St. Sebastian und Walburga eine Kirche, die bis in das 11. Jahrhundert zurückreicht. Von der einst reichhaltigen Ausstattung der fast eintausend Jahre Geschichte hat sich kaum etwas erhalten, da 1936 und 1964 zwei Purifizierungen vorgenommen wurden. Obwohl die historischen Fenster zwei Kriege überstanden hatten, wurden sie 1963 ausgebaut und durch einen Entwurf von Wolf-Dieter Kohler (1928-1985), umgesetzt von Emil Gaisser, ersetzt.

Schon Kohlers Vater, Walter Kohler, hatte bei der ersten Purifizierung mitgearbeitet und das ehemalige Altarfenster durch eine Neuverglasung ersetzt. Als es zur Ergänzung durch Wolf-Dieter Kohler kam, wollte man bewusst keinen Bruch, sondern suchte nach einem Künstler, der den Stil der älteren Arbeit fortschreiben konnte. Kohler Junior zeigt hier einmal die Gemeinde auf der rettenden Arche Noah. Es ist eine der ganz wenigen Kirchenglasfenster, auf der einmal ein Säugling zu entdecken ist – für die damaligen Menschen war der Nachwuchs essentiell, doch schon auf Weltgerichten finden sich fast ausnahmslos erwachsene Menschen. Grund war hier, dass sich das neue Fenster in der sogenannten Taufnische direkt vor dem Taufstein befindet. Über einem gewaltigen Christus – einer eigenartigen Mischung zwischen gekreuzigtem Menschen und richtenden Weltenherrscher – findet sich dann die Darstellung des Himmlischen Jerusalem. Den Rand des Rundbogenfensters zeichnen zwölf typische Kohler-Tore nach: goldgelbe Blockbauten, deren Steine sorgfältig eingezeichnet wurden. Die Füllung wechselt wischen Rot und Grün. Ähnlich wie in der Kirche von Degerloch steht in der Mitte das Lamm Gottes, aus dessen Wunde nicht etwa rotes Blut, sondern der blaue Lebensfluss entspringt, der sich in Zacken weiter nach unten bis zum Kreuz windet.
Hingewiesen werden muss auf das Lichtspiel, welches dieses Fenster direkt auf die Chorbogenwand zum Altarbereich hin wirft. Indirekt wird somit das Himmlische Jerusalem durch seine Spiegelung vom Kirchenschiff aus sichtbar – ein wundersamer Effekt, den die Kamera nur teilweise einzufangen vermag:

Karl-Heinz Scheide: Die Reromanisierung der Degenfelder Dorfkirche, in: Einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd, 12, 1985, S. 65.
Richard Strobel: Kirchen und Profanbauten außerhalb der Altstadt, Ortsteile, München 2003 (Die Kunstdenkmäler der Stadt Schwäbisch Gmünd, 4).
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.

 

tags: Wolf-Dieter Kohler, Purifizierung, Tauffenster, Schwäbische Alb
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