Wolf-Dieter Kohler (1928-1985): „Heimkehrerfenster“ aus dem Ulmer Münster (1959)
In welchem Bauwerk kann man kostenlos Kunstwerke von Rudolf Yelin, Wilhelm Geyer, Wolf-Dieter Kohler, Peter Valentin Feuerstein oder Hans Gottfried von Stockhausen betrachten? Im Ulmer Münster, der größten evangelischen Kirche Deutschlands. Seit den schweren Kriegszerstörungen ist man hier einen anderen Weg als in den allermeisten anderen Kirchen gegangen: Nicht ein einzelner Künstler verewigte hier sein Gesamtkonzept, sondern immer wieder haben Glaskunstmeister hier einen Beitrag geleistet. Farbenfroh, abwechslungsreich, widersprüchlich: genau so haben mittelalterliche Kirchen einst überall ausgesehen – erleben kann man dieses Prinzip in Deutschland eigentlich nur noch in Ulm. Für Kohler war es eine Ehre und Herausforderung, in diesen Kreis aufgenommen zu sein. Obwohl bereits sein Kollege Hans Gottfried von Stockhausen ein Chorfenster mit dem Himmlischen Jerusalem ausgestattet hatte (1956), entschied sich Kohler für diesen Gegenstand, den er in seinem Schaffen am meisten aufgegriffen hat und der als sein Markenzeichen gelten darf. Vielleicht war dies der Grund, dass man sich einverstanden zeigte, nochmals die zwölf Tore in diesem Bauwerk aufzugreifen?
Kohler stand ein hoch gelegenes Seitenfenster im linken Schiff zur Verfügung. Anders als das spätere „Himmelfahrtsfenster“ über dem Marientor wurde dieses Fenster an der Nordseite von der damaligen Presse hoch gelobt und intensiv besprochen; die Zeitungen von damals bezeichnen es als „gelungene Ergänzung zum Bestand“, als „hoffnungsvolle Botschaft, dass Menschen durch Gott nach Hause finden“ und einmal sogar als als „Offenbarung unserer Zeit“. Es hat den Titel „Heimkehrerfenster“ bekommen und es nahm, was ein ausdrücklicher Wunsch der Gemeinde war, ein damals aktuelles Thema auf: Die Heimkehr von Kriegsgefangenen und Geflüchteten (unterer Bereich).
Trotz der Entfernung des Fensters von über zehn Metern bis zum Betrachter wurden Details bis ins Kleinste ausgearbeitet – so setzen sich die Tore aus Hunderten von Steinen zusammen, am Fell des Lammes könnte man die Haare zählen. Hier geht von ihm der weiße Lebensfluss aus und bringt den Baum des Lebens rechts unten zum Blühen. Um das Lamm reihen sich die zwölf Tore. Das größte davon links unten ist mit einer Figur besetzt: Es ist nicht Petrus, der Türwächter, dessen Darstellung Kohler peinlich vermeidet, sondern ein Engel zur Begrüßung der ankommenden Menschen, von denen allerdings nur ein einziger auf Knien zu entdecken ist (dies soll der verlorene Sohn sein, der durch das Wasser (i.e. der Geist Gottes) gereinigt wird) – Menschenmassen wie auf mittelalterlichen Gerichtsbildern gibt es hier nicht.
Hermann Baumhauer, Joachim Feist: Das Ulmer Münster und seine Kunstwerke, Stuttgart 1977.
Hans-Eugen Specker, Reinhard Wortmann (Hrsg.): 600 Jahre Ulmer Münster, Stuttgart 1977.
Wolfgang Lipp: Bilder und Meditationen zum Marienportal des Ulmer Münsters, Langenau-Ulm 1983.
Wolfgang Lipp: Begleiter durch das Ulmer Münster, Ulm 2005 (11).
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.