Wolf-Dieter Kohler (1928-1985): evangelische Martinskirche in Affalterbach (1957)
Auch in der Kirche von Affalterbach hält Christus ein Buch, auf welchem steht: „Ich bin das Licht der Welt“. Dieses Buch, das Buch des Lebens, beinhaltet eigentlich die Namen der Geretteten, Kohler setzt hier in künstlerischer Freiheit ein Zitat aus dem Johannesevangelium in einen apokalyptischen Kontext, wie bereits einige Jahre zuvor in der Schöllkopfkapelle in Kirchheim unter Teck (1954).
Überhaupt spielt bei Kohler, in Nachfolge seines Meisters Rudolf Yelin, die künstlerische Freiheit eine höhere Rolle als die biblische Schriftgenauigkeit: die Stadt ist eigentlich nie quadratisch, sondern nimmt die eigenartigsten Formen an, die Zahl Zwölf wird mitunter unterschritten, mitunter überschritten, die Stadtmitte bleibt gelegentlich unbesetzt. Hier kann man sich nicht einmal sicher sein, ob die Stadttore eingearbeitet wurden oder nicht – zwar sind Tore zu erkennen, doch es könnten ebenso Tore zu Häusern sein, auch die Zahl Zwölf wird nicht aufgenommen. Leuchtende goldene Prachttore sind es keinesfalls, eher niedrige, graue Pforten. Deren Oberflächen sind strukturiert, mit Türen, Fenstern, Kuppeln, Steinen. Farblicher Bezugspunkt ist selbstverständlich die rotfarbige Christusfigur auf dem leuchtenden Regenbogen. Am Anfang bzw. Ende des Bogens ragen bereits die Hände des gekreuzigten Christus aus dem unteren Bildfeld hinein. Das Kreuz mit den angeschlagenen Händen geht über in den Baum des Lebens, von dem man fünf Früchte oder Blüten erkennen kann. Die Verwandlung des toten Holz in einen lebendigen Baum ist ein spätmittelalterliches Bildmotiv, dass unter dem Namen „Lebendes Kreuz“ eine kurze Blütezeit hatte. Dass Kohler dieses seltene Bildmotiv kannte, welches sich in ganz Württemberg nirgends erhalten hat, belegt die intime Kenntnis sakralkünstlerischer Randthemen und ihre erstmalige Aufnahme in ein Glasfenster.
Hergestellt wurde die Arbeit nach einem Entwurf Kohlers von Emil Gaisser in Stuttgart. In der Kirche füllt die Arbeit ein schmales Fensterband unmittelbar hinter dem Altar aus, ähnlich wie in Ostelsheim. In Affalterbach waren die Fenster über Jahrhunderte künstlerisch nicht ausgestaltet. Auf einem Parallelfenster rechts hat sich noch die ursprüngliche, einfache Verglasung erhalten. Ursprünglich war die Kirche aber sehr wohl figürlich ausgestaltet, es gab einst umfangreiche Wandmalereien, von denen sich im Schiff an der linken Seite wenige Fragmente erhalten haben, wo sie eine Empore simulieren (freigelegt 1931). Dort findet man mit Adam und Eva Szenen, die auch Kohler übernommen hat. Vor Ort wird vermutet, dass auch ein Weltgericht mit einem Himmlischen Jerusalem zu der Ausmalung gehörte, was nun an einem anderen Ort in einem anderen Material modern in Szene gesetzt ist.
Markus Otto: Kulturgeschichtliche Denkmäler des Kreises Ludwigsburg, 20, Die evangelische Kirche Affalterbach, in: Hie gut Württemberg. Menschen, Geschichte und Landschaft unserer Heimat, 28, 1977, S. 22-23.
Hermann Fischer: Fensterpredigten. Eine Predigtreihe über das Chorfenster in der evangelischen Martinskirche Affalterbach von Wolf-Dieter Kohler (1928-1985), Öhringen 1989.
Evangelische Kirchengemeinde Affalterbach (Hrsg.): Evangelische Martinskirche Affalterbach, o.O. 2016.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.