Rudolf Yelin (1902-1991): Stuttgarter Johanneskirche (1969)

Farbbänder und die Kreuzform strukturieren dieses Fenster. Die Herausforderung, die Rudolf Yelin (1902-1991) bei historischen Bauten öfters vorfand, waren der gotische Maßwerkschmuck im oberen Bereich der Fenster. Für ein himmlisches Jerusalem war es natürlich passend, die Darstellung möglichst oben anzubringen. Bei Maßwerkfenstern hat man aber keine einheitliche Fläche vor sich, sondern kleine Felder, die zudem von der Sandsteinrahmung verdeckt sind. Für das Einfügen von zwölf Toren oder weiteren Einzelheiten einer Stadt waren diese Gegebenheiten ungünstig. In der evangelischen Johanneskirche in der Innenstadt Stuttgarts löste Yelin das Problem einzigartig, und, wie ich finde, überzeugend: der Meister entwirft ein Jerusalemkreuz. Der vertikale Kreuzarm ist die mittlere Fensterbahn, die auf einen horizontalen Kreuzarm aus grünen, blauen und gelben rechteckigen Scheiben trifft. An der Stelle, wo sich die beiden Arme treffen, hat Yelin die eine Hälfte der Tore gesetzt, die andere Hälfte direkt darüber, wo das Maßwerk aufgebrochen ist.

Jedem Tor wurde hier in den Scheitelpunkten der Giebel kleine Miniaturtore aufgesetzt, die das Ganze beleben. Die Tore sind ansonsten eng aneinander gesetzt, überschneiden sich teilweise und erscheinen aus der Ferne als expressive Lichterscheinung. Es sind hier nicht die einzelnen Tore, sondern die zusammenhängende Komposition ist entscheidend. Weiter unten sind zwei weitere horizontale Farbbänder eingefügt, einmal in roter, einmal in blauer Farbe. Dort wo sich unten die Bänder kreuzen, wurde die Steinigung des Heiligen Stephanus eingefügt. Dies geht auf einen Wunsch der Kirchenleitung und des Gemeinderats zurück, auf den Fenstern passende Motive zu den Opfer von Krieg und Verfolgung einzusetzen (vgl. ev. Kirche zu Steinbeck 1954).

Das Jerusalemsfenster ist das dritte rechtsseitige Chorfenster der Kirche. Bei dem Fenstereinbau handelt es nicht um eine Purifizierung, sondern die Johanneskirche hatte ihre historischen neogotischen Glasmalereien bereits 1944 durch Brandbomben verloren. Nachdem man sich zunächst auf die Wiederherstellung der Fassade konzentriert hatte, war es Ende der 1960er Jahre wieder möglich, künstlerisch hochwertige Fenster einzubauen. Ursprünglich wünschte die Gemeinde, dass Yelin die Fenster über den nordwestlichen Eingang gestalten sollte, doch der Künstler stand allein für die Chorfenster im Osten zur Verfügung.
In der Adventszeit 2021 erfolgte eine zweite Beschädigung der Fenster durch Vandalismus eines Kirchenhassers. Bei der Zerstörung, die sich gezielt gegen christliche Einrichtungsgegenstände und Symbole richtete, wurden unter anderem Fenster eingetreten, eine Kirchenbank aus dem Boden gerissen und die Orgel mit Feuerlöschschaum besprüht. Im Juli 2022 konnten von der Werkstatt Saile, die diese Fenster ursprünglich hergestellt hatte, die Schäden beseitigt werden.

Hans Schönweiß: Die Glasfenster in der Johanneskirche in Stuttgart (am Feuersee). Eine Hilfe zur Meditation, Stuttgart, um 1975.
Zum Hundertjährigen Jubiläum der Johanneskirche Stuttgart. Ansprachen, Stuttgart 1976.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Rudolf Yelin d. J., 1902-1991. Leben und Werk, Petersberg 2019.
Thomas Schall: Die Johanneskirche am Feuersee Stuttgart. Ein Kirchenführer, Reutlingen 2000.

 

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