Die Schömberger Stadtkirche St. Peter und Paul, erbaut 1842, wurde bislang mehrere Male renoviert und neu gestaltet. Den heutigen Altarraum dominieren alleine und ausschließlich zwei zusammen gehörige Kunstwerke: Ein gewaltiger, vier Meter hoher Kruzifixus und eine Scheibe mit den Toren Jerusalems. Die Holzskulptur mit dem Gekreuzigten aus dem 15. Jahrhundert wurde absichtlich so eng an die Scheibe gesetzt, dass es unmöglich ist, diese alleine zu fotografieren oder isoliert anzusehen.
Rudolf Yelin (1902-1991) hat die Skulptur bereits 1957 vorgefunden, allerdings an einer anderen Stelle. Mit dem kirchlichen Gemeinderat und dem Pfarrer Robert Killguß wurde zusammen folgende Konzeption entwickelt: Christus wurde ins Zentrum geholt, er ist der Leidende am Kreuz und zugleich Herrschende im Himmlischen Jerusalem. Seine Kreuzigung ist die Voraussetzung der Gnade, in diese Stadt zu gelangen. Es ist unmöglich, sich ein Himmlisches Jerusalem ohne Christus zu denken. Um diese Konzeption umzusetzen, musste allerdings erst ein vorhandenes Fresko des Kunstmalers Buchner aus München entfernt werden – möglicherweise befindet es sich noch unter der blauen Platte, die jetzt eingebaut wurde.
Yelin hatte Jahre zuvor immer wieder damit gerungen, dem Himmlischen Jerusalem eine adäquate Form zu geben. Im Laufe der Jahre kam er von den Häusern auf die Tore und setzte mehr und mehr Tore in seine Malereien. Hier aber, in der Schömberger Stadtkirche, ist es dem Meister gelungen, erstmals die Stadt mit zwölf Toren darzustellen, dazu noch in einer formvollendeten, ausgewogenen und eindrucksvollen Art und Weise. Schon beim Betreten zieht das Werk die Blicke auf sich und wirkt beruhigend. Der magische Eindruck wird durch die gebrochenen Strahlen noch verstärkt, die das gesamte Kunstwerk umziehen und in den Raum greifen. Heutige Besucher und Besucherinnen erinnert es an ein Mantra, an die Himmelsscheibe von Nebra oder an Stonehange. Das alles war nicht von Yelin beabsichtigt, aber große Kunst ist eben in der Lage, immer wieder mit neuen Inhalten gefüllt zu werden. Von allen Werken ist dies mit Abstand die beste Arbeit Yelins, was längst auch der Denkmalschutz erkannt hat und die seitdem sorgfältig restauriert wurde. Ursprünglich war tatsächlich beabsichtigt, die Ausführung in Stein zu setzen, wozu Yelin, der auch als Bildhauer tätig war, technisch in der Lage gewesen wäre. Aus Kostengründen entschied man sich dann für eine Malerei, die Marmor so täuschend echt imitiert, dass sogar langjährige Kirchenbesucher der Ansicht sind, das Altar-Kunstwerk wäre eine steinerne Platte. Die Felder mit dem Stuckrahmen zur linken und rechten Seite sind übrigens auch von Yelin entworfen worden, glücklicherweise sind sie komplett ungestaltet belassen, was die Konzentration auf das Hauptwerk nochmals steigert.
Gemeindebrief zum 150jährigen Jubiläum der evangelischen Kirche in Schömberg, o.O. 1983.
Bernd Brandl, Holger Küstermann: 175 Jahre Schömberger Kirche von 1833-2008. Festschrift, Schömberg 2008.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Rudolf Yelin d. J., 1902-1991. Leben und Werk, Petersberg 2019.
.