Rudolf Yelin (1902-1991): Deckenmalerei in Stuttgart-Möhringen (1949)

Nachdem Rudolf Yelin das Himmlische Jerusalem als Bildmotiv bereits 1929 in Backnang auf einem Kirchenfenster zeigte, dauerte es einige Zeit, bis sich der Künstler wieder damit beschäftige bzw. beschäftigen konnte. In den 1930er Jahre wurde nur wenig in den Kirchenbau investiert, und im Zweiten Weltkrieg kam die Bautätigkeit so gut wie vollständig zum erliegen. Erst mit dem voranschreitenden Wiederaufbau und dem westdeutschen Wirtschaftswunder änderte sich das, die goldene Zeit des Sakralbaus begann. Ein erstes Beispiel ist die Martinskirche von Möhringen. Sie wurde einst als Dorfkirche gebaut, als Möhringen noch nicht zu Stuttgart gehörte. Der imposante Bau, umgangssprachlich auch Filderdom genannt, wurde in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1944 durch einen Fliegerbombentreffer schwer zerstört und brannte vollständig aus, wobei das steinerne frühneuzeitliche Gewölbe verloren ging. 1948 begann der vereinfachte Wiederaufbau; statt des Gewölbes entschied man sich für eine eingezogene polygonale Holzdecke, welche die zweite Empore vom heutigen Kirchenraum abtrennt. Immerhin war es möglich, sich eine Bemalung zu leisten. Hier waren einfache, breite Malereien auf etwa 80 Quadratmetern gefragt, die aus dem Kirchenschiff erkennbar sein sollten.
Zu dieser Zeit kehrte Rudolf Yelin (1902-1991) wieder nach Stuttgart zurück und konzentrierte sich zunächst auf Arbeiten im näheren Umfeld. Einer der Aufträge war die Deckengestaltung wie später auch die Neuverglasung für die Möhringer Kirche. Seine Deckenmalerei besteht ausschließlich aus einer roten und einer blauen Lasur auf Holzpanelen.
Am 16. Oktober 1949 wurde die Kirche wieder eingeweiht, in den Monaten davor erfolgte die Ausmalung. Aufgrund der damaligen Wirtschaftslage wurde sie nur vereinfacht rekonstruiert, insbesondere unter Verzicht auf die hochgemauerten alten Gewölbe.

In Analogie an mittelalterliche Weltgerichtsdarstellungen zeigt sich Christus Pantokrator in einer Mandorla. Auf dem rechten Bildfeld sind sechs Apostel versammelt, die alle an ihren Attributen eindeutig benannt werden können. Über diese Gruppe hat Yelin das Neue Jerusalem in blauer Farbe gesetzt. Diese Stadt ist nun alles andere als mittelalterlich, auch in wesentlichen Punkten weicht Yelin von der Beschreibung in der Johannesoffenbarung ab, fast, als wäre es ein Protest gegen den Bibeltext:
-die Stadt ist nicht quadratisch, sondern rund,
-die Zahl der Tore ist nicht zwölf, sondern sieben (was man auf kaum einer anderen Darstellung des Neuen Jerusalem finden wird),
-die Mitte ist nicht mit Christus besetzt, sondern mit einem Tempel.
Der Tempel mit seinen rhythmischen Rundbogentoren und der flachen Kuppel ist keine Erfindung Yelins. Man findet diese Darstellung in der Zeitschrift Herold der Wahrheit, prominent auf dem Cover einer Ausgabe des Jahres 1928.

Martin Bock: Martinskirche Stuttgart-Möhringen, Stuttgart-Möhringen 2005.
Siegfried Gergs: Die Martinskirche in Stuttgart-Möhringen. Werkbericht über die Restaurierung, in: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft, 60, 2007, S. 140-143.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Rudolf Yelin d. J., 1902-1991. Leben und Werk, Petersberg 2019.

 

tags: Deckenmalerei, Nachkriegskunst, Schwaben, Kopie
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