Hans Caldenbach gen. Hess (um 1430-1504): Weltgerichtszeichnung (um 1500)

Üblicherweise werden Entwürfe, Skizzen, Vorstudien wie Nachstudien hier nicht eingepflegt, da der Erkenntnisgewinn überwiegend zu gering ist. Zudem ist es auch ein mengenmäßiges Problem: Von einigen modernen Kunstwerken gibt es bis zu 50 Entwürfe mit zum Teil nur geringen Abweichungen zum späteren Original. Etwas anderes ist es, wenn es gar kein Original gibt, bzw. wenn sich dieses Original nicht erhalten hat oder sein Aufenthaltsort unbekannt ist. Dann nimmt ein Entwurf den Platz eines Originals ein, da wir hier die einzige Möglichkeit haben, etwa über den Aufbau, die Intention und die Rezeption eines Werkes zu erfahren.
Das ist der Fall bei einer Zeichnung von Hans Caldenbach genannt Hess (auch Kaldenbach, um 1430-1504), einem Künstler der zweiten Reihe der späten Reformationszeit. Er lebte seit 1466 in Frankfurt am Main, wo er, zusammen mit Hans Kussenziech bereits als Gehilfe bei dem Maler Conrad Fyol tätig war und auch bei diesem wohnte. 1475 wurde er Malermeister und hatte bald einen Betrieb mit mehreren Mitarbeitern. Der Betrieb fertigte vornehmlich Bildschmuck für Frankfurter Kirchen an, von denen viele im Zweiten Weltkrieg verloren gingen; als wichtigstes Werk hat sich eine Ölmalerei der Kreuzigung erhalten (heute Städel Museum, Frankfurt). Dann gibt es noch eine Federzeichnung mit Spuren einer Stiftvorzeichnung, 25 x 44 Zentimeter groß, aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, also dem Spätwerk des Künstlers. Es befindet sich im Dresdner Kupferstichkabinett (Inventarnummer 1910-7, NJC 1265), wobei 1910 vermutlich das Jahr des Zugangs angibt.
Die Handzeichnung ist keine Vorstudie zu der Frankfurter Malerei des Städel, denn auf dieser kommt kein Weltgericht vor. Die Zeichnung muss sich auch gar nicht auf eine Ölmalerei beziehen, sondern auch ein Kupferstich oder eine Freskenmalerei kämen in Frage. Letztlich ist es auch möglich, dass sich Caldenbach auf gar kein späteres (oder früheres) Werk bezieht, da es sich um eine freie Übung, eine Gelegenheitszeichnung oder eine Gedankenskizze ohne Bezug zu einem weiteren Werk handelt. Es gibt aber auf dem Werk einen Hinweis, der etwas Licht in die Angelegenheit bringt. Links unten findet sich der handschriftliche Eintrag: „dieses stück ist gemalt gewest uffm Remer uff Richt hans aber mutwillig verwust word.“ Demnach handelt es um eine Arbeit zu einem Werk, welches sich als Gerichtsbild einst im Frankfurter Römer befand. Zu diesem hatte Caldenbach enge Beziehungen: 1483 war er mit dem Goldschmied Hans Dirmstein und dem Maler Thomas von Straßburg an der Ausschmückung der Römerfassade beschäftigt. Auch später führte es Caldenbach bei Prozessen immer wieder in das Rathaus. 1501 stiftete er für den Sitzungssaal des Schöffengerichts im Römer eine Ölmalerei des Weltgerichts. Diese Malerei wie auch die Fassadenmalereien gingen kurz nach Entstehung in den Wirren der Reformationszeit wieder verloren verloren, wie es einst aussah, wissen wir allein aus der Handzeichnung.
Der Aufbau ist konservativ-traditionell an mittelalterlichen Vorlagen gehalten: In einer Mandorla erscheint oben Christus als Richter auf dem Thron, umgeben von zwölf Aposteln und assistiert von Maria (links) wie Johannes (rechts). Unten werden Engel und Menschen gezeigt, manche nackt, manche in prächtiger Kleidung. Entweder dürfen sie zur Pforte links in das Neue Jerusalem oder müssen rechts durch die Höllenpforte. Im Gegensatz zu viele Details bei den Figuren sind die Pforten lediglich skizziert, ohne Schmuckformen oder nennenswerten Besonderheiten. Beide Pforten sind zudem recht ähnlich gestaltet. Besäße man kein Vorwissen, wüsste man allein anhand der Pforte nicht, dass es rechts in den Himmel und rechts in die Hölle geht. Auch ist die Höllenpforte nicht, wie sonst üblich, weiter nach unten gesetzt, sondern ist auf gleicher Höhe wie ihr Pendant. Beide Bauwerke werden übrigens durch die Wolken nach oben fortgeführt, wo sie zu Sitzbänken der Apostel werden.

Walther Karl Zülch: Das Jüngste Gericht des Martin Caldenbach 1502, in: Der Kunstwanderer 12/13, 1930/31, S. 293-295.
Carl Gebhardt: Frankfurter Maler des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Monatshefte für Kunstwissenschaft, 5, 12, 1912, S. 495-507.
Michaela Schedl: Eine Gruppe von sechs Tafelbildern, entstanden in Frankfurt um 1500, und die Malerfamilie Caldenbach, genannt Heß, in: Städel-Jahrbuch, 20, 2009, S. 131-164.
Michaela Schedl: Caldenbach gen. Hess, Hans, in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe).

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tags: Kupferstichkabinett Dresden, Gerichtsbild, Rathaus, Weltgericht, Spätmittelalter
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