Alexandre Cingria (1879-1945): Notre-Dame du Valentin in Lausanne (1933)

Die Zahl der Buntglasfenster in der Schweiz ist, aus verschiedenen Gründen, überschaubar. Daher ist die früheste Darstellung des Himmlischen Jerusalem aus dem Jahr 1933, also noch relativ jung, etwa im Verglich mit älteren Werken aus England oder Frankreich. Relativierend muss man allerdings hinzufügen, dass sich eine wesentlich ältere Arbeit von 1647 nicht mehr in der Schweiz, sondern im Pariser Louvre befindet.
In den 1930er Jahren war Lausanne eine Kultur- und Wirtschaftsmetropole ersten Ranges, Adelige, Künstler, Wirtschaftsmanager und zunehmend Touristen zog es an den Genfersee. Die Stadt wuchs an, Kirchen wurden neu gebaut, Gelder für Erweiterungen oder Ausstattung waren, nach Ende der Weltwirtschaftskrisen, wieder reichlich vorhanden. In diesem Klima beschloss die römisch-katholische Innenstadtgemeinde ihre Lünettenfenster hochwertig auszugestalten. Dies ist bemerkenswert, da die Fenster von außen gar nicht und von unten kaum gesehen werden können, obwohl sie jeweils eine Größe von 280 x 140 Zentimetern haben.

Es handelte sich insgesamt um sechs identische Buntglasfenster im Kirchenschiff mit der Aufschrift „Ave Maria“ und um zwei weitere Buntglasfenster in Pastellgrau-, Lila- und Blautönen, die das himmlische Jerusalem im Chor der Kirche darstellen. In der Reihe von vier Lünetten an jeder Seite sind es also die beiden vordersten am Altarbereich, um die es hier geht.

Das Fenster besteht aus sechs inneren Feldern, auf denen Architektur zu sehen ist, sowie ein Halbbogen mit vier Segmenten, auf denen sich neben geometrischen Schmuckformen vereinzelt Sterne finden lassen. Die Architektur ist auf beiden Fenstern gleich aufgebaut: Links und rechts außen findet sich jeweils ein einfaches Zugangstor als Rundbogen. Dazwischen schieben sich die rechteckigen Steine der Stadtmauer oder des Fundaments, über denen Rundbögen, Kuppeln und Quadersteine aufeinander treffen, die tlw. ineinander verkeilt sind. Rechts führt eine breite Treppe zu einem Eingang: Dort ist die Kirche Notre-Dame du Valentin selbst dargestellt.
Alexandre Cingria (1879-1945) war nicht nur Praktiker, sonder auch Theoretiker, er arbeitete als Maler und als Kunsthistoriker. Nach seinem Studium an der Kunstakademie von Genf und München war er 1919 einer der Gründer der Gruppe „Saint-Luc et de Saint-Maurice“, die sich um die Wiederbelebung der katholischen Sakralkunst verschrieben hatte, was auch das Thema seiner wichtigsten Publikation war: „Der Verfall der kirchlichen Kunst“ (Augsburg 1927). In den folgenden Jahren sollte es sein Schwerpunkt sein, mit einer modernen Formensprache diesem angeblichem Verfall entgegen zu wirken – in über dreißig Kirchen konnte er seine eigene Kunstvorstellung umsetzen. Seine Arbeiten für die heutige Basilika von von Lausanne gehören, was Glasmalereien angeht, bereits zu seinem Spätwerk: Cingria litt zunehmend an einer Herzschwäche, konzentrierte sich auf zeichnerische Werke und mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nahm auch die Zahl der Aufträge rapide ab.
Seine Karton-Entwürfe für die Kirche Notre-Dame du Valentin führend allerdings bis in die Mitte der 1920er Jahre zurück, die aus Kostengründen zunächst nicht umgesetzt werden konnten. Auch später wurde nur ein Teil verwirklicht. Das überhaupt etwas verwirklicht wurde, hat man dem Architekten Fernand Dumas zu verdanken, der auf die Entwürfe aufmerksam wurde und schon vorher mit Cingria erfolgreich zusammen gearbeitet hatte. 1933 wurde der Vertrag über die Ausführung geschlossen, und im Zuge einer Kirchenrenovierung konnten die Fenster schließlich bis 1935 etappenweise eingesetzt werden. Sie vereinen zwei Stilrichtungen: Die Architektur mit ihren unstrukturierten Volumen sind vom Kubismus beeinflusst, während die ornamentalen Teile (Voluten und Kreise) an die Art-Déco-Bewegung erinnern.

Hélène Cingria: Alexandre Cingria. Un prince de la couleur dans la Genève du XXe siècle, Genève 1954.
Roland Wetter: La Chapelle du Valentin à Lausanne, Bern 1992.

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tags: Schweiz, Kanton Waadt, Kubismus, Art Déco, Stern
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