Ikone „Meine Seele preise den Herrn“ (um 1675)

Eine russisch-orthodoxe Weltgerichtsikone von ca. 1675 gehört zu der Ikonengruppe „Meine Seele preise den Herrn“. Es gibt unterschiedliche Darstellungsformen dieser Gruppe, nicht immer wird auf ihnen das Himmlische Jerusalem gezeigt. Der genauerer Entstehungshintergrund dieser Ikone ist ebenso unbekannt wie der Maler oder die Malerschule. Die Temperamalerei wurde 1886, als sie in ihren heutigen Aufbewahrungsort, die Moskauer Tretjakow-Galerie kam, von Alexander Mukhin gesäubert und restauriert. Vermutlich ist dabei der silberne Rahmen mit dem Perlenstabfries hinzugekommen. Seit 1990 ist das Kunstwerk Teil der Dauerausstellung.
Die Ikone wurde in Moskau für eine orthodoxe Kirche oder ein Kloster angefertigt und zeigt oben links das Himmlische Jerusalem in einer besonderen Form: Ansatzweise handelt es sich um ein Arkadenjerusalem, eingebaut in die Front und rechte Seitenansicht einer Stadt. Unten ist rosafarben die Stadtmauer zu sehen, mit drei Rundbogentoren an der vorderen Seite, insgesamt vermutlich zwölf. Über ihnen sind mehrere Häuser im Stadtinneren zu erkennen. Ihre Fassaden sind in gelben, roten und grünen Pastelltönen gehalten und alle besitzen ein rotes Dach. Durch einen
schmalen Wolkenfries ist die himmlische Stadt von dem Rest der Ikone abgegrenzt. In den engen Raum zwischen diesem Fries und der Stadtarchitektur sind vereinzelt Blumen oder Pflanzen eingesetzt. Dies ist eine Referenz an Paradiesvorstellungen, die eng mit dem Neuen Jerusalem verwoben sind, da letzteres komplementär zu dem ersteren steht: Das Paradies eröffnet die Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte, das Himmlische Jerusalem schließt sie ab. Beides sind archaische Ewigkeitskonzeptionen, sie werden von Gott regiert und kennen nur das Schöne und Gute.

Ioann B. Sirota: Die Ikonographie der Gottesmutter in der russischen orthodoxen Kirche, Würzburg 1992.
Günter Paulus Schiemenz: ‚Lobet den Herrn vom Himmel her, lobet Ihn in der Höhe‘. Russische Ikonen zu den Lobespsalmen, in: Karl Christian Felmy, Eva Haustein-Bartsch (Hrsg.): ‚Die Weisheit baut ihr Haus‘. Untersuchungen zu hymnischen und didaktischen Ikonen, München 1999, S. 167-212.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).

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tags: Tretjakow-Galerie Moskau, Russland, Jaroslawl
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