Dieser Ausschnitt einer Weltgerichtsikone stammt aus dem russischen Jaroslawl. Die Gesamtgröße beträgt lediglich 116 x 88 Zentimeter, der Ausschnitt der linken oberen Seite etwa 30 x 30 Zentimeter.
Entstanden ist das Kunstwerk um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Es befindet sich heute im Kunstmuseum von Jaroslawl (Inventarnummer 1148). Obwohl auf der Ikone apokalyptische Szenen und oben das Weltgericht mit dem Neuen Jerusalem dargestellt sind, hat die Ikone den ungewöhnlichen Titel „Meine Seele preise den Herrn“. Das Neue Jerusalem hat eine annähernd runde Gestalt, was unten durch ein dunkelblaues Wolkenband betont wird. Schon um 1550 hat sich bei Ikonen in Jaroslawl diese Form angedeutet. Man sieht am Fundament zwei Mauerzüge einer Stadtbefestigung, darüber fünf abwechslungsreiche Fantasiebauten. In der Realität gab es im 17. Jahrhundert diese Bauten nicht; sie sollten wohl auch die Andersartigkeit der göttlichen Welt andeuten. Aus dem Hauptgebäude, das möglicherweise eine Himmelspforte darstellen soll, beugt sich ein Engel nach unten und reicht einem ankommenden Bewohner eine Krone: die Krone der Märtyrer.
Viktor Vasilevic Byckov: Russkaja srednevekovaja ėstetika, XI-XVII veka, Moskau 1992.
Ioann B. Sirota: Die Ikonographie der Gottesmutter in der russischen orthodoxen Kirche, Würzburg 1992.
Günter Paulus Schiemenz: ‚Lobet den Herrn vom Himmel her, lobet Ihn in der Höhe‘. Russische Ikonen zu den Lobespsalmen, in: Karl Christian Felmy, Eva Haustein-Bartsch (Hrsg.): ‚Die Weisheit baut ihr Haus‘. Untersuchungen zu hymnischen und didaktischen Ikonen, München 1999, S. 167-212.
Иконы Кузнецова: Иконы Ярославля 16–19 веков. Каталог выставки Ярославского художественного музея, Москва́ 2002.
Иконы Ярославля XIII — середины XVII века. Шедевры древнерусской живописи в музеях Ярославля: в 2 т., Москва́ 2009.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).
Eine weitere russisch-orthodoxe Weltgerichtsikone von ca. 1675 hat ebenfalls den Titel „Meine Seele verherrliche den Herrn“. Genauerer Entstehungshintergrund ist ebenso unbekannt wie der Maler oder die Malschule. Die Ikone ist 1886, als sie in ihren heutigen Aufbewahrungsort, die Moskauer Tretjakow-Galerie kam, von Alexander Mukhin restauriert worden. Vermutlich ist dabei der silberne Rahmen mit dem Perlenstabfries hinzugekommen. Seit 1990 ist das Kunstwerk Teil der Dauerausstellung.
Das Kunstwerk wurde in Moskau für eine orthodoxe Kirche oder ein Kloster angefertigt und zeigt oben links das Himmlische Jerusalem in einer besonderen Form: Ansatzweise handelt es sich um ein Arkadenjerusalem, eingebaut in die Front und rechte Seitenansicht einer Stadt. Unten ist rosafarben die Stadtmauer zu sehen, mit drei Rundbogentoren an der vorderen Seite, insgesamt vermutlich zwölf. Über ihnen sind mehrere Häuser im Stadtinneren zu erkennen. Ihre Fassaden sind in gelben, roten und grünen Pastelltönen gehalten und alle besitzen ein rotes Dach. Durch einen Wolkenfries ist die himmlische Stadt von dem Rest der Ikone abgegrenzt. In den schmalen Raum zwischen diesem Fries und der Stadtarchitektur sind vereinzelt Blumen oder Pflanzen eingesetzt. Dies ist eine Referenz an Paradiesvorstellungen, die eng mit dem Neuen Jerusalem verwoben sind, da letzteres komplementär zu dem ersteren steht: Das Paradies eröffnet die Menschheitsgeschichte, das Himmlische Jerusalem schließt sie ab. Beides sind archaische Ewigkeitskonzeptionen, sie werden von Gott regiert und kennen nur das Schöne und Gute.
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