Gertrude Morgan (1900-1980): „New Jerusalem“ (1960er und 1970er Jahre)

Gertrude Morgan produzierte von den späten 1950er bis frühen 1970er Jahren zahlreiche Grafiken mit Motiven des Neuen Jerusalem. Sie haben nur teilweise den Weg in Museen gefunden, sondern sind zum größten Teil noch in Hand von Privatsammlungen überwiegend in den USA. Niemand hat einen Überblick, um wie viele Werke es sich genau handelt, und kaum ein Jahr vergeht, in dem nicht irgendein Auktionshaus ein neues „New Jerusalem“ anpreist. Was fehlt, ist vor allem ein sorgfältiges Werkverzeichnis ihrer gesamten Kunstwerke. Ich möchte hier einen kleinen Beitrag leisten und zumindest diejenigen Jerusalems-Werke besprechen, die ich in den letzten 40 Jahren entdecken konnte. Einige größere Zahl von Werken konnte ich über die Jahre im Original besehen, andere kenne auch ich lediglich aus dem Internet. Bei manchen Arbeiten findet man auf der Rückseite kleine Zeitungsausschnitte, die einen wichtigen Hinweis zur Datierung geben können. Wenige Arbeite entstanden vor 1960, die allermeisten Malereien fallen in die 1960er Jahre, und nur einige entstanden in der Schlussphase von 1970 bis 1974. 1974 stoppte Morgan abrupt nicht nur mit dem Thema Neues Jerusalem, sondern die gesamte Malerei wurde von ihr eingestellt.

In der Masse der Jerusalemsmalereien lassen sich gewisse Merkmale herauslesen:
-die frühen Werke sind erdfarbener, dunkel; die späteren heller, mitunter fast in Neonfarben, der Weißanteil nimmt zu;
-die Stockwerke Jerusalems haben in den späteren Werken einen Zug ins Abstrakte, die einzelnen Formen lösen sich tendenziell auf;
-die Bildelemente (Engel, Brautpaar, Paradiesgarten, Lebensbaum, Stockwerke, offene Schauseite Jerusalems, die Einblick in die Wohnungen gibt) entstehen nicht evolutionär, sondern sind von Beginn an vorhanden.

Das Neue Jerusalem von Sister Morgan, wie die Künstlerin sich selbst nannte (ob sie wirklich eine Nonne war und welchem Orden sie angehörte, ist unklar), wird meist als mehrstöckiges Haus, annähernd quadratisch, mit vielen Wohnungen dargestellt. In den Wohnungen ist gelegentlich Mobiliar zu sehen, im Außenbereich finden sich mitunter Besonderheiten, wie Tischtennisanlagen oder Gemüsegärten. Meist grenzt das Gebäude bis nahe an den Bildrand, an dem oft Heerscharen von Engeln den Hintergrund ausfüllen.
Gertrude Morgan (1900-1980) stammt aus Lafayette, Alabama, und wuchs als Afroamerikanerin in ärmsten Verhältnissen auf. Sie arbeitete als Musikerin, Malerin und Sängerin. In den 1950 Jahren will sie von Gott den Ruf zur Malkunst erhalten haben und machte sich ohne Vorkenntnisse ans Werk. Hunderte von Bildern entstanden in kurzer Zeit, auf Papier, Pappkarton und sogar Toilettenpapier – alles wurde bemalt. Ihre Bilder benutzte sie teilweise bei ihren Predigten, um Leseunkundige besser erreichen zu können, bei denen sie in einer Art weißer Uniform als Braut Christi auftrat. Innerhalb kürzester Zeit wurde sie in den Südstaaten zur Kultfigur der Hippiebewegung. Nach ihrem Tod 1980 wurde sie von einem fulminanten Bestattungszug durch New Orleans getragen, und dann anonym auf einem Friedhof weit außerhalb der Stadt begraben.

Das erste Beispiel ist insofern bedeutsam, weil es vermutlich die älteste erhaltene Fassung zeigt. Experten schätzen, dass es noch in den 1950er Jahren entstanden sein soll. Dennoch finden sich bereits alle wesentlichen Merkmale auch vieler späteren Werke, die sich also nicht etappenweise herausbildeten, sondern die einmal gefundene Fassung wurde beibehalten, später lediglich variiert. So findet man bereits hier die Chöre der Engel, in die Morgan auch immer wieder schwarzfarbige Engelsfiguren (aber mit weißen Flügeln) eingearbeitet hat. Links steht auch das Brautpaar, was sich noch in vielen weiteren Werken der Künstlerin gefunden werden kann. In unmittelbarer Nähe ist ein weiteres typisches Morgan-Merkmal: eine schmale Bank und ein Sessel im Freien. Im Zentrum steht natürlich der kubusartige Block, dessen Oberfläche mit zahlreichen weißen, grünen und braunen Streifen eine ganz eigentümliche Struktur gegeben ist – angedeutet sind Fenster und Türen, vielleicht auch Balkone, zumindest französische. Hin und wieder sind Pflanzen eingefügt, die bunte Früchte oder Blüten tragen – es sind nicht ausschließlich Topfpflanzen, sondern hier wird auf den Lebensbaum angespielt. Die lediglich 71 x 56 Zentimeter große Arbeit in Acrylfarbe ist heute Teil der Sammlung Jaffe (National Gallery of Art, Washington).

Das Bild gilt, wie gesagt, als eine der ersten Arbeiten zum Neuen Jerusalem der Künstlerin. Es wurde nicht verkauft, sondern hing in ihrem Wohnzimmer mit weiteren ihrer Malereien an der Wand. Als eine Art „Urbild“ war es die Folie und der Orientierungspunkt vieler weiterer Fassungen. Es ist ein besonderer Glücksfall, dass damit fotografisch die Echtheit dieser Malerei bewiesen ist. Einige weitere Malereien, die gerade im 21. Jahrhundert „plötzlich“ auf Auktionen auftauchen, lassen Zweifel an der Echtheit aufkommen – hier verzeichnet sind im Folgenden nur Werke, deren Authentizität durch Gutachten, Autopsie oder Belege (wie dieses Foto, u.ä.) belegt sind.

Diese Fassung soll noch 1959 entstanden sein; die Gouache in Mixed Media gehört damit zu den frühesten Darstellungen des Neuen Jerusalem von Morgan überhaupt. Sie besitzt die matten Erdfarben der frühen Jahre, ansonsten aber bereits alle wesentlichen Bestandteile eines Morgan-Jerusalems: Fliegende Engel, das Brautpaar, die zwölf Stockwerke, Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt. 2014 konnte das Werk kurzzeitig wissenschaftlich analysiert werden und wurde für echt befunden; seitdem ist das wertvolle, 48 x 31 Zentimeter große Blatt in Privatbesitz.

Das hiesige Beispiel stammt aus dem Louisiana State Museum in New Orleans, welches es 1981 als Schenkung erhielt. Links unten ist es mit Bleistift mit „Sister Gertrude Morgan“ signiert, gegenüber dem Titel des Bildes: „New Jerusalem Court, Gloryland St.“. Es ist aus Acrylfarben und Tinte gearbeitet und kommt auf eine Größe von 33 x 33 Zentimetern. Die undatierte, noch eher zeichnerisch als malerisch gehaltene Arbeit wird von dem Museum mit 1960 angegeben. Es ist eine typische Morgan-Arbeit, die die Stadt als Haus mit acht Stockwerken zeigt, in dem zahlreiche Wohnungen untergebracht sind. Dazwischen schiebt sich eine rote, eine blaue und eine gelbe Treppe. Unten bilden zahlreiche weiße Kästchen ein rasterartiges Fundament, nach oben ist der Bau leicht gerundet, als hätte er eine graue Kuppel aufgesetzt bekommen. Im Gegensatz zu vielen anderen ihrer Werke wurde hier auf die Beigabe von Menschen, Engeln oder Tieren vollständig verzichtet.

Aus der gleichen Zeit, um 1960, stammt diese Mixed-Media-Arbeit. Das 22 x 19 Zentimeter kleine Werk befindet sich in einer Privatsammlung. Es ist unten zwar signiert, aber nicht signiert, daher hat man ihr den Titel „Wedding Scene with Angels“ gegeben. Das Brautpaar, auf den sich der Titel bezieht, findet sich hier ganz oben, gewissermaßen im Dachgeschoss. Dort sind gewöhnlich die Türen und Fenster kleiner, bei Morgan jedoch größer. Ganz oben findet sich der charakteristische Halbbogen, mit dem die Künstlerin in der Frühzeit ihre Jerusalemsbauten bedeckte.

Das Lousiana State Museum besitzt eine weitere Malerei aus der Frühzeit der Künstlerin, geschätzt auf um 1960. Es konnte 1981 erworben werden, als Geschenk des Freundeskreises Cabildo (Inventarnummer 1981.106.008). Jerusalem mit seinen zwölf Stockwerken ist hier eine Zweiflügelanlage, die fast das gesamte Bild bis an den Rand dominiert, wo oben Engel und unten Treppen sowie Zäune hinzugefügt sind. Durch einen solchen Zaun ist rechts das Brautpaar getrennt, wobei der Bräutigam außerhalb der Stadt steht. Die Malerei auf Basis von Wasserfarben und Tinte wurde von Morgan mit Bleistift signiert und ihr ein Titel verliehen: „Lamb’s Wife“.

Das folgende Kunstwerk ist ebenfalls aus der Frühzeit der Künstlerin, es entstand um 1960 und hat den Titel „Rev. 19 Chap.“. Es ist ein Werk in Mischtechnik, u.a. Wasserfarben, Bleistift und Tinte. Vor einem Haus, welches das Neue Jerusalem mit zahlreichen Wohnungen repräsentiert, stehen eine Braut und ein Bräutigam. Die heilige Stadt in Verbindung mit einer Hochzeitsfeier ist typisch für die Darstellungsweise von Morgan. „Rev. 19 Chap.“ gelangte aus einer Privatsammlung in das Louisiana State Museum in New Orleans, welches heute die bedeutendste Sammlung der Künstlerin besitzt.

Um 1960 entstand auch „New Jerusalem“ aus der Johnson Collection in Spartanburg (South Carolina), eine Farbmalerei unter Verwendung von Bleistift und Kugelschreiber auf Karton. Die Größe beträgt 36 x 28 Zentimeter. Hier finden sich bereits die kräftigen, leuchtenden Farben, die Morgans weitere Werke prägten sollten. Der Jerusalemsbau wurde um eine Freitreppe ergänzt, die direkt an das Brautpaar heranführt. Rechts neben der Treppe findet man eine weitere frühe Signatur der Künstlerin.

Eine Zweiteilung des Bauwerks mit Dachzonen, die jeweils mit einem blauen Bogen umspannt sind, charakterisiert dieses Gemälde (Privatsammlung). Sein Titel ist „The Lamb Bride“, entstanden um 1960. Unten links befindet sich das angesprochene Brautpaar, über dem ein größerer Engel schwebt. Alle weiteren Engel befinden sich außerhalb des Jerusalemsgebäudes. Möglicherweise gilt das auch für den größeren Engel, denn da die Wände aufgebrochen sind, ist nicht klar, ob sich Figuren vor oder in der Stadt befinden. Rechts beträgt die Zahl der Stockwerke zwölf, links ist sie wegen der großen Tür hinter dem Brautpaar geringer.

Das Werk mit dem Arbeitstitel „New Jerusalem, Lamb and Wife“ (um 1960) zeigt deutlich die Dreiteilung Jerusalems, die oft bei Gertrude Morgans Arbeiten gefunden werden kann. Dieses Werk hat zwei Besonderheiten: Erstens ist die Ausführung zeichnerisch, im Gegensatz zu vielen ihrer Malereien. Zweitens ist hier die Stadt an allen vier Seiten derart an den Rand gerückt, dass andere Elemente, vor allem die Engel, kaum sichtbar sind. Sie wurden wie ein Schmuckfries um das Gebäude gesetzt. Die seltene 36 x 31 Zentimeter große Arbeit in Mischtechnik (Bleistift und Farbstift) stand um 2015 bei Heritage Auctions (Dallas) zur Auktion an und befindet sich heute in einer Privatsammlung.

Das Auktionshaus Christie’s (New York) präsentierte 2014 eine Jerusalemszeichnung Morgans in Tinte, Blei- und Buntstift; 58 x 46 Zentimeter groß. Im Zentrum: das große Jerusalemsgebäude. Es ist hier aber nicht in zwei oder drei Kompartimente geteilt, sondern ein gewaltiger Block, der an den unteren Ecken auskragt. In der gesamten unteren Hälfte umzieht ein Zaun das Gebäude. Das Brautpaar, geradezu unerlässlich in der Welt Morgans, die selbst unverheiratet war und sich als Braut Christi betrachtete, findet man unten rechts. Daher handelt es sich hier, wie auch auf vielen anderen ihrer Werke, stets um eine schwarze Braut und einem weißen Bräutigam.

Eine eigen Untergruppe bilden Darstellungen des Himmlischen Jerusalem, auf denen ein Flugzeug zu sehen ist – die Vorstellung ist nicht so abwegig, denn in den 1960er Jahren gab es eine regelrechte Flugbegeisterung, zumal in den USA der Flugverkehr zunahm, und warum sollte man mit solch einem Objekt nicht ein himmlisches Ziel erreichen? In diesem Fall sitzt das Brautpaar im Cockpit des Flugzeugs, welches eine ähnliche Farbe sowie Breite besitzt wie die Höhe der Stadt daneben. Diese ist als Block gestaltet, in für Morgans Werken eher zurückhaltender Farbgestaltung von Rot und etwas Ockergelb. Die Bewohner und Bewohnerinnen sind verschwunden, die Bank vor der Stadt steht leer. Darüber findet man mit Bleistift den Titel der Malerei „New Jerusalem Back“. Sie befindet sich im New Orleans Museum of Art und wird dort in die 1960er Jahre datiert. Mit lediglich 18 x 10 Zentimetern ist es eine der kleinsten Malereien der Künstlerin.

Parallel dazu entstand ein weiteres Flugzeug-Jerusalem, ebenfalls mit dem Brautpaar besetzt. Der Titel, der noch von Morgan stammen soll, lautet „New Jerusalem with Jesus is my Airplane“ („Neues Jerusalem mit Jesus als meinem Flugzeug“) wirft allerdings Fragen auf: Ist nicht bereits der weiße Mann im Flugzeug der Bräutigam? Wie kann überhaupt Jesus ein Flugzeug sein? Ist das Zitat aus der Beschriftung im Bild für das gesamte Bild repräsentativ? Die 51 x 46 Zentimeter große Acryl- und Temperamalerei ist aus der Sammlung Christopher und Jane Botsford und wurde im Œuvre Morgans bislang weniger beachtet. Die fliegende Engel wurden bei diesem Bildtyp weggelassen, beziehungsweise hier durch blühende Bäume und einen farbigen Himmel mit gelben, roten und blauen Streifen ersetzt. Nicht nur das Flugzeug, auch das Auto unten rechts belegt die Technikbegeisterung der Künstlerin. Diese Fassung zeichnet sich durch kräftige Farben aus, es ist sicher eines ihrer farbintensivsten Malereien. Das gelbe Jerusalem ist hier einmal mit einer gestaffelten Dachlandschaft gezeigt, auf dem eigenen Bauteile oder ganze Häuser in den Himmel wachsen. Auf seiner Spitze thront ein roter Gegenstand mit weißer Rahmung, vielleicht eine Lokomotive?

Es gibt eine weitere Flugzeug-Malerei Morgans, die etwas später, wohl 1969, entstanden sein soll. Jerusalem ist hier nicht länger das dominierende Bauwerk, es ist sogar kleiner als die Bauwerke unter ihm. Anhand seiner Position als Stadt auf einem grünen Hügel, dem quadratischen Umriss, dem Brautpaar im Inneren, seinen zwölf Stockwerken und nicht zuletzt an den zahlreichen Engeln in der Umgebung ist es als Jerusalem zu erkennen. Die 67 x 45 Zentimeter große Arbeit in Tempera und Tinte ist eines der frühesten Werke der Künstlerin in einem bedeutenden Museum, dem Smithsonian American Art Museum in Washington. Es ist einer Initiative von Herbert Waide Hemphill zu verdanken, dass „Jesus is my air Plane“, so der Titel, bereits 1986 erworben werden konnte (Inventarnummer 1986.65.187). Zu diesem Zeitpunkt gab es an der Kunst Morgans kaum Interesse.

Dieses Neue Jerusalem ist durch eine breite, rote Hauptstraße geteilt, die die Stadt in zwei Viertel trennt. Auf dieser Straße pilgern nicht nur knapp 20 kleine Menschen, sondern auf den Boden der Straße ist, kaum sichtbar, auch der Gemäldetitel „New Jerusalem“  eingeschrieben. Unübersehbar hingegen hat sich die Künstlerin an der linken Seite verewigt. Die Formen bei dieser Fassung lösen sich auf, die Stadt zerfällt in abstrakte Kompartimente, gefällige Details wie Bänke, Zäume, Szenen der Bewohner wurden hier komplett weggelassen. Die 76 x 51 Zentimeter große Arbeit in Mischtechnik aus den 1960er Jahren wurde von der Galerie Phyllis Kind angeboten. Nur wenige Tage stand sie für die wissenschaftliche Dokumentation in Chicago zur Verfügung, bis sie in eine Privatsammlung gelangte.

Bei einigen Malereien rückt der Baukomplex, der das Himmlische Jerusalem vertritt, bis direkt an die vier Ränder oder zumindest nahe an die Ränder, so dass für weiter Details im Hintergrund wenig Platz ist. Dieser horror vacui ist ein wichtiges Gestaltungsmerkmal von Sister Morgan – die Stadt rückt somit nahe an den Betrachter heran, sie wird zum bestimmenden Hauptthema des Bildes. Dieses Beispiel ist eines der ganz wenigen, in denen nicht das weißgekleidete Brautpaar in der Stadt zu finden ist, sondern zwei rot bzw. violett gekleidete Personen unmittelbar vor der Stadt. Die Struktur der Stockwerke, Fenster und Türen wird zu einem abstrakten Raster mit orangen und grünen Farbflächen, die kaum mehr ein Haus, geschweige eine Stadt erkennen lassen. Links ist das Gemälde signiert, rechts findet sich in Bleistift eine Beischrift, die zum Titel dieser 23 x 16 Zentimeter großen Arbeit anregte: „new gerusalen courts“ („New Jerusalem Courts“; Royal Crest Auctioneers, Gardena).

Eine der ganz wenigen Malereien Morgans besitzt gerundete Ecken. Die Kreisform wird auch von den Engeln übernommen, die sich geschlossen um das Neue Jerusalem zieht. Eine Gruppe von Menschen links ist von der Architektur rechts getrennt. Diese Architektur besteht aus zahlreichen Rechtecken in roter, blauer und gelber Farbe – sie stellen die Fenster und Türen der Stadt ebenso dar wie ihre Edelsteine. Hier steht auch das Brautpaar, während 23 weitere Personen in Reihen links versammelt sind. Diese ungewöhnliche Arbeit ohne Titel, aber handschriftlicher Signatur in gelber Schrift gehört zur Sammlung von Kurt Gitter & Alice Rae Yelen. Ihr Arbeitstitel lautet „New Jerusalem with Choir of Angels around Him“, ihre Größe ist 23 x 15 Zentimeter, die geschätzte Entstehungszeit wird mit „1960er Jahre“ angegeben.

Bei diesem „New Jerusalem“ findet man an dem Papier links und rechts breite Streifen, die oben wenige Millimeter auskragen. Das bot den Anlass, in das rechte Band die Engel, in das linke einen Teil der vierundzwanzig Ältesten zu setzen. Der Rest der Ältesten befindet sich bereits im Neuen Jerusalem, überwiegend im oberen Bereich. Im unteren Bereich findet sich, klein wie fast auf keiner anderen Arbeit Morgans, das Brautpaar. Die Malerei aus überwiegend grünem, roten und blauem Acryl sowie Tinte entstand in den 1960er Jahren, ihre Größe beträgt 20 x 20 Zentimeter. 2020 stand sie in den USA zur Auktion an und befindet sich heute in Privatbesitz.

Auf diesem Gemälde ist das Himmlische Jerusalem so klein wie selten einmal von Morgan dargestellt worden. Es wird von Zitaten der Johannesoffenbarung regelrecht komprimiert und an die Seite gedrückt; auch sieht es so aus, als würde die Stadt von 48 fliegenden Engeln im Gleichgewicht gehalten. Viele der Engelsfedern schwirren im Raum umher und geben der Schrift eine Struktur, zusammen mit dunkelroten Streifen. Unten ist die Stadt umgeben von den vierundzwanzig Ältesten. Dementsprechend lautet der Titel der 23 x 23 Zentimeter quadratischen Arbeit aus den 1960er Jahren auch „New Jerusalem 24 Elders 48 Angels“. Sie befindet sich in Besitz der Sammler Selig und Angela Sacks.

Auf diesem Werk ist das Neue Jerusalem so geometrisch-gerade dargestellt wie selten bei Morgan. Stockwerk schiebt sich über Stockwerk, und selbst innerhalb eines Stockwerks sind die Fenster, Türen und Möbel farblich und in der Position geordneter vorzufinden als auf anderen Werken der Künstlerin. Selbst die vierundzwanzig Ältesten sitzen und stehen wie Zinnsoldaten in einer Reihe, lediglich vier der Ältesten sind links ein Stockwerk tiefer gerutscht. Das Brautpaar steht links unten vor der Stadt, jedoch wird nicht klar, welcher der beiden Männer der Bräutigam ist. Zahlreiche Engelsfiguren über ihnen unterstreichen den himmlischen Bezug der Szene, denn hier heiratet nicht vornehmlich Morgan (die daher die Braut stets schwarz darstellt), sondern Christus die Kirche. Das Werk ist Teil der Sammlung Morgan des New Orleans Museum of Art. Bei der Zeichnung (46 x 30 Zentimeter) auf Basis von Wasserfarben und Bleistift handelt es sich um eine Schenkung von Dr. Robert Ryan und seiner Ehefrau.

Eine Arbeit, die das Prinzip der Reihenhauskette auf die Spitze treibt und ebenfalls in den 1960er Jahren entstanden ist, befindet sich im Philadelphia Museum of Art. Entsprechend der Beschriftung in der Mitte oben hat es den Titel „New Jerusalem Court“. Unten ist es signiert, direkt über einer schwarzen Amsel. Man könnte meinen, dass hier ein Gemälde geteilt worden sei, aber diese Malerei hatte von Beginn an die Maße 180 x 33 Zentimeter. In der Masse der blauen und roten Fenster und Türen kann man kaum mehr unterscheiden, wo einzelne Häuser beginnen und enden. Manche der Bauten stehen auch offen, man kann dann Möbel wie Schränke oder einen Schaukelstuhl entdecken. Thema ist auch hier die Hochzeit des Brautpaares im Himmlischen Jerusalem (unten links), welches, zusätzlich zu dem spitzen Bewuchs, von 18 Engeln umgeben ist.

Eine andere Arbeit der langstreckten Häuserreihen ist in anderer Hinsicht besonders: Auf dieser Malerei der 1960er Jahre hat Morgan sich als Braut ins Bild gesetzt, allerdings hier einmal alleine, also ohne Bräutigam. Sie trägt nicht etwa ein Handy vor sich her, sondern die Bibel, aus der dann im Bild selbst einige endzeitliche Zitate handschriftlich eingefügt sind. Mehr Raum als die Bauten nimmt auf dieser Fassung die Bepflanzung ein. Es sind die typischen Gewächse, die man auch von anderen Malereien der Künstlerin kennt: meist ein Ast, mit wenigen Strichen breit gesetzt, an seinen Rändern mit Punkten besetzt – diese könnte Dornen ebenso wie Blüten oder Früchte darstellen. In diesem Bild sind die Menschen nahe an diesen Gewächsen versammelt, als würde sie von den Früchten essen. Das Gemälde „New Jerusalem“ (Acryl und Tempera) der Größe 48 x 30 Zentimeter stammt aus dem American Folk Art Museum in New York. 1986 war es dem Museum von dem Ehepaar Sanford und Patricia Smith geschenkt worden.

Auf dieser Fassung (New Orleans Museum of Art) sind mehrere rechteckige Bauten vereint, die alle von Engeln im weißen Federkleid umflogen werden. Das Neue Jerusalem ist der große Block rechts – nicht allein seiner Stockwerke wegen, sondern aufgrund der Beschriftung mit Bleistift im unteren Bereich, wo sich das Brautpaar zusammenfindet. Die Farben dieser um 1962 angefertigten Malerei sind zwar noch dunkel gesetzt, aber weisen bereits in die kräftigen Neonfarbtöne der späteren Jahre.

Diese Arbeit der Größe 50 x 40 Zentimeter, entstanden um 1962, ist in zweifacher Hinsicht wegweisend. Man findet auf ihr bereits die neonartigen Farben, etwa verschiedene Violetttöne oder ein mattes Türkis. Vor allem in ihrer zweiten Schaffenshälfte bevorzugte Morgan eine kräftige Farbpalette. Dann ist die Stadt auch nicht mehr klar als Kubus von der Umgebung abgegrenzt. An der rechten Seite löst sich die Stadt vollständig auf und vermischt sich mit den Engeln. Die Zahl der zwölf Stockwerke bleibt beibehalten. In der Mitte der Stadt hat Morgan hier jedoch ein weiteres Haus eingesetzt, in Form eines Fünfecks mit vier Stockwerken. Eine der Treppen führt direkt zu diesem Haus, wodurch es nochmals hervorgehoben wird. Die in Bleistift mit „New Jerusalem“ betitelte Malerei auf Basis von Tinte und Acryl wurde von der Künstlerin mit „Missionary Morgan“ signiert. Sie befand sich einst in der Sammlung von Larry Dumont und wurde 2019 versteigert, seitdem ist sie erneut in Privatbesitz.

Diese 46 x 60 Zentimeter große Arbeit zeigt noch die bunten Fenster und Türen ähnlich wie auf „New Jerusalem, Lamb and Wife“, gleichzeitig findet sich bereits die auslaufende Gartenlandschaft, die mit einem Zaun umzogen wird (vgl. „The Lamb and His Bride“). Gemäß eines Bibelzitats aus Exodus hat diese Mixed-Media-Arbeit von ca. 1964 den Titel „ God Said I Triumphed Gloriously“. Vor ihrer Versteigerung war die Arbeit im Besitz von E. Larry Borenstein in New Orleans, dem Wohn- und Arbeitsort der Künstlerin.

In der Mitte der 1960er Jahre, um 1965, entstand „Wedding Scene“. Der Titel bezieht sich auf das Brautpaar in dem Jerusalems-Block links unten. Der Block besteht aus vier Teilen, wovon der höchste zwölf Stockwerke hat. All diese Elemente, wie auch die zahlreichen Engel und die vielen Fenster (rot) oder Türen (grün) des Blocks findet man auch auf Dutzenden anderen Malereien der Künstlerin. Was diese Fassung vielleicht auszeichnet, ist das massive rotfarbene Fundament, das sich als Band unten entlang zieht. In ihm finden sich drei Mal drei Tore. Das Kunstwerk in Mixed Media hat eine Größe von 48 x 30 Zentimetern. Es wurde in New York aufgefunden und gelangte dann in eine Privatsammlung.

Diese Darstellung des Neuen Jerusalem von circa 1965 ist vielleicht das beste Beispiel für die zwölf Stockwerke, wie Morgan die Stadt gewöhnlich darstellt. Hier ist Jerusalem ein hermetischer Block, der an keiner Stelle auskragt. Stockwerk legt sich über Stockwerk, die Wohnungen bzw. Räume, in die wir blicken können, sind bewusst gleich gestaltet: gelbe (amerikanische) Fenster, braune oder grüne Türen, drei oder vier Bewohner, rote Möbel. „Sister Morgan“ ist das Gebäude überschrieben, wie bei einer Werbeschrift der 1960er Jahre. Fast ebenso groß wie das Bauwerk sind die beiden Personen linkes. Morgan sah sich als Braut/Bride, verheiratet mit dem Lamm/Lamb, also Christus. Dementsprechend wird das Gemälde in Mixed Media auch als „Die Hochzeit“/“The Marriage“ bezeichnet. Es hat eine Größe von 25 x 19 Zentimetern und gehört zu einer Privatsammlung.

Zur Mitte der 1960er Jahre wurden die Farben heller und fröhlicher, rote, grüne und gelbe Farbtöne setzten sich durch. Eine der ersten Beispiele ist die Malerei „New Jerusalem Court“ aus der Sammlung Howard und Roberta Ahmanson. Die 24 x 20 Zentimeter große Malerei zeigt oben gleich zwei der für Morgan typischen Jerusalemsblöcke. Ihre Stockwerke sind mittels breiter grüne Pinselstriche markiert, die sich auch im unteren Bereich des Bildes fortsetzen. Wie ein Keil trennt beide Blöcke die schwarze Signatur „Sister Gertrude Morgan“. Das Brautpaar ist hier einmal nicht aufgenommen, lediglich zwei vereinzelt stehende Personen. Vielleicht sind es Auferstandene, denn vor die Stadt sind zahlreiche weiße Gräber gesetzt.

Diese Malerei „New Jerusalem“ wird von der seriösen Galerie „Museum of Everything“ in London, die das Original vor sich hatte, auf „um 1955“ datiert – damit wäre es die mit Abstand älteste und erste erhaltene Malerei des Neuen Jerusalem der Künstlerin. Die mehr malerische als zeichnerische Ausführung, die hellen Farben und die Darstellungsweise des Jerusalemsblocks deuten jedoch auf einen deutlich späteren Entstehungszeitraum, sicher nicht vor Mitte der 1960er Jahre. Auch die Idee, Verpackungen zu bemalen, trifft auf die Anfangszeit nicht zu, sondern Morgan kam erst später auf diese Idee. Diese Fassung auf Basis von Acrylfarben und Bleistift hat eine Größe von 61 x 30 Zentimeter, was der Milchverpackung einer bekannten Firma in New Orleans entsprach.

In Abwandlungen zu den Malereien, die Jerusalem als Wohnblock darstellen, gab es in den 1960er Jahren von Morgan auch einige Fassungen, auf denen sich Jerusalem als lange Ansammlung von Reihenhäusern darstellte. Bei diesem Beispiel von 1966 (46 x 30 Zentimeter) bilden die vierundzwanzig Ältesten eine Art Kette oder Mauer, die das Jerusalem von oben zu der Szene unten abtrennt. Mit ihren weißen Augen wirken ihre Blicke suggestiv, fast beschwörend. Unten wird Hochzeit gehalten, das Brautpaar hat sich feierlich im Freien eingefunden. Auch hier wurden Szenen, die sich eigentlich hinter den Mauern Jerusalems abspielten, ins Freie verlagert, wo man Möbelstücke wie ein Sofa oder einen Sessel findet. Der Gegenstand dazwischen mag ein Tisch oder ein Springbrunnen sein. Die lebensfrohe Darstellung kam aus der Sammlung von Martha Ann Samuel in das wandernde „Museum of Everything“ und wird dort regelmäßig ausgestellt.

Ähnlich ist diese Arbeit „The Lamb and His Bride“ in Tinte, Acryl und Bleistift ausgeführt, um 1966. Der Erhaltungszustand ist nicht besonders gut, da die Malerei auf die Vorderseite einer 48 x 35 Zentimeter großen Waschmittelverpackung der Firma „Tide“ aufgemalt wurde. Die Rückseite ist mit Bibelversen überzogen. Im Gegensatz zu der Fassung aus dem „Museum of Everything“ findet sich das Brautpaar zwei Mal – das ist einmalig im Œuvre der Künstlerin. Vermutlich hat sich Morgan im Rausch der Malerei – die Bilder entstanden unter Singen und Beten, manchmal auch in Begleitung wilder Jazzmusik – hier vertan. Darauf deutet auch, dass das Bild doppelt signiert ist, einmal im rechten Brautkleid mit „Sister Gertrude Morgan“, dann nochmals im linken Brautkleid mit „Sis Morgan“. Das Kunstwerk befindet sich in Privatbesitz.

Eine weitere Arbeit mit ungewöhnlicher Länge (102 x 41 Zentimeter) ist „The Great New Jerusalem“. Im Unterschied zu den anderen Werken sind die grünen, gelben und roten Farbtöne kräftiger, das Bild wirkt dadurch fröhlicher, was dem Thema ja durchaus angemessen ist. Da man die religiösen Hintergründe nicht kannte, wurde das Kunstwerk 2010 auf einer Auktion irrtümlich als „The Great Now Jerusalem“ bezeichnet. Die Malerei aus Acryl, Tempera und Tinte entstand in den späten 1960er Jahren, ca. 1968.

2021 wurde auf einer Kunstauktion in den USA eine Malerei aus der Sammlung von Dr. Martin und Deborah Fishbein bekannt. Durch Vergleich mit anderen Werken der Künstlerin konnte die Entstehungszeit auf „um 1968“ eingegrenzt werden. Die Malerei in Mixed Media hat eine Größe von 25 x 16 Zentimeter. Ihr Titel lautet „New Jerusalem“, was auf der Arbeit aber nicht verzeichnet ist. Überhaupt ist es eine der wenigen Malereien Morgans, die fast vollständig unbeschriftet blieb (außer ein rotes „Rev. 21“). Durch die übergroße Braut links und die zahlreichen Engel ist das Neue Jerusalem klein geworden. Die für die Künstlerin typische Reihung in Stockwerke findet sich allein rechts, wo sie einen kleinen Turm erzeugen.

Eine ähnliche Arbeit aus der gleichen Schaffensperiode stand 2021 zur Auktion an, auch sie stammt aus der Sammlung Fishbein. Mit Maßen von 38 x 30 Zentimetern gehört diese Malerei in Mixed Media bereits zu den größeren Werken der Künstlerin. Auch hier ist das Neue Jerusalem zwar im Zentrum, aber relativ klein dargestellt – der Chor der Engel übertrifft es um ein vielfaches. Im obersten Stockwerk rechts findet man in einem Zimmer übrigens das Brautpaar. Das Werk ist weder datiert noch signiert, auch handschriftliche Vermerke findet man nicht, mit einer Ausnahme: „Station“ findet man rechts unten in schwarzen Buchstaben. Das Neue Jerusalem wird hier zur Station einer Dampfeisenbahn, deren Wagen sich in bunter Reihe am unteren Bildrand entlang ziehen.

Um 1968 entstand noch eine weitere Arbeit in Mixed Media (Größe 36 x 56 Zentimeter), die den abweichenden Titel „Jerusalem Salem“ bekam. Sie stand 2004 wenige Monate zum Verkauf an, bis sie in eine Privatsammlung kam. Rot und Weiß sind auch hier die dominierenden Farben. Im Inneren findet sich eine rote Kommode mit fünf Schublade, die kompositorisch die Treppen von unten aufnimmt. Viele weitere Einrichtungsgegenstände möblieren hier die Wohnungen, etwa grüne und blaue Stühle oder gelbe Bänke. Große weiße Engel finden sich an den Seiten, während der Bräutigam unten rechts auf seine Braut wartet.

Eine Acryl-Malerei (42 x 30 Zentimeter) aus dem Spätwerk Morgans wurde auf 1969 datiert; sie ist aus der Cavin Morris Gallery in New York. Mit den zahlreichen Engeln, die die Stadt fast vollständig umziehen, ähnelt es dem Bild „New Jerusalem with Choir of Angels around Him“. Das Brautpaar findet man auch hier links außerhalb der Stadt, an einem blauen Altar versammelt. Handschriftlich eingezeichnet entdeckt man die Worte „New Jerusalem“ und nochmals „Jerusalem“. Seitlich kann man ablesen, dass dieses Stadtbauwerk aus zwölf Stockwerken besteht. In die einzelnen Wohnungen kann man direkt hineinsehen, Intimität und Datenschutz spielten damals eine weitaus geringere Rolle als heute.

Ebenfalls 1969 entstand die Malerei „The New City of Jerusalem with Twenty-Four Elders“ (21 x 11 Zentimeter groß, Privatsammlung), und tatsächlich finden sich exakt 24 Figuren in dem Gebäude mit seinen zwölf Stockwerken rechts. Rot und Blau sind hier die dominierenden Farben. Links steht der Bräutigam mit roten Haaren, rechts von ihm, etwas kleiner, die Braut. Morgan selbst sah sich als Braut und man geht davon aus, dass sie sich mit dieser oft in ihren Bildern wiederkehrenden Figur identifizierte.

Eine jüngere Malerei aus dem American Folk Art Museum entstand in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre (rechts mit Bleistift signiert, nicht datiert). Man kann auf dem Bild regelrecht verfolgen, wie von der Architektur andere Bildelemente an den Rand gedrängt werden oder sich ihrer Struktur anpassen müssen. Beispiel Lebensbaum: Dieser ist hier wie ein Träger des Jerusalemsgebäude rechts eingefügt, lediglich an seinen bunten Früchten kann man ihm noch als Baum erkennen.

Ebenso wie die Malerei aus dem American Folk Art Museum ist diese Fassung aus Acryl und Tempera. Seit 2018 befindet sie sich in Privatbesitz. Sie war 1972 von Larry Borenstein von der Künstlerin erworben worden, kurz bevor Morgan das Malen aufgegeben hatte. Oben ist in Bleistift der Titel „New Jerusalem“ eingeschrieben, unten ist die 76 x 58 Zentimeter große Malerei signiert. Auffällig ist hier vielleicht der Gartenbereich, der von einem Zaun umzogen ist – der Zaun ist fast so breit wie die Stadt hoch. In dieser findet man im Zentrum eine Art gelbe Brücke, die genaue Funktion dieses Gegenstandes ist unklar. Die Malerei wird auf 1969 datiert, typisch für diese Schaffensphase ist der schmale Lebensbaum an der rechten Seite.

1970 erschien das Buch „God’s Greatest Hits“ mit zahlreichen Illustrationen der Künstlerin in einem renommierten US-amerikanischen Verlagshaus – spätestens zu diesem Zeitpunkt war Morgan keine Außenseiter-Künstlerin mehr. Es lag nahe, die Titelseite mit dem prominentesten Objekt ihres Schaffens zu gestalten: dem Neue Jerusalem (23 x 20 Zentimeter).
Morgan hat, ganz ähnlich wie bei ihrem Schallplattencover „Let‘s make a Record“ das Buch selbst produziert. Jede dieser Ausgaben ist ein Unikat und besteht aus zwei Seiten, von denen eine das Himmlische Jerusalem zeigt, die andere die Braut, manchmal alleine, manchmal zusammen mit dem Bräutigam. Es gibt zahlreiche solcher selbstgebastelter Bücher von „God’s Greatest Hits“. Das erste ist von 1966, die letzten stammen von 1970. Nachdem „God’s Greatest Hits“ als Buch erschien, hörten die selbstgebastelten Fassungen schlagartig auf – Morgan hatte nun Gelegenheit, ihr erstes Buch zu verkaufen.

Der Stadt Bögen im Dachbereich aufzusetzen ist ein Merkmal der Arbeiten Morgans in den 1960er Jahren. Unter Berücksichtigung der Farbwahl datieren Experten diese Fassung auf um 1970. In diesem Fall ist der Dachbogen sogar einmal beschriftet, mit „Rev. 21“. Rechts geht der Text weiter, dort findet man auch den Titel, dem man dieser Malerei auf Basis von Acryl und Tinte gegeben hat: „New Jerusalem get your bussiness fixed“, signiert von „Sister Gertrude Morgan erlasting (sic!) Gospel Teacher“. Die Malerei wurde auf eine Karte gemalt, die Maße betragen 56 x 36 Zentimeter. Sie befindet sich in Privatbesitz.

Eine zweite, spätere Malerei aus dem „Museum of Everything“ entstand um 1970. Es ist eine „typische“ Jerusalemsdarstellung von Morgan mit allen für ihre Arbeiten charakteristischen Merkmalen, wie das Brautpaar, die Stockwerke des Gebäudes, zahlreiche Engel, die vierundzwanzig Älteste, welche teilweise bereits die Stadt bewohnen.

Bei dieser Malerei (um 1970, 33 x 25 Zentimeter) sind große Teile der freien Fläche mit Bibelversen beschrieben, ganz unten auch mit der Signatur der Künstlerin. Die Stadt Jerusalem wie auch das Brautpaar, ansonsten das große Hauptthema, sind hier relativ klein eingesetzt. Die Malerei hat ein paar weitere Merkmale, die sie gegenüber anderen Werken auszeichnet: Der Lebensbaum und weitere Bepflanzung breiten sich hier üppig aus, im für Morgan typischen Pointillismus. Man findet die Gewächse nicht nur an den Seiten der Stadt, sondern auch neben dem Brautpaar. Dieses steht auf einer grünen Rasenfläche – andere sehen hier den Walfisch des Jonas. Eine weitere Besonderheit sind die zwei Tiere, Ochsen oder Panter, die einen Wagen hinter sich ziehen – sind es die Völker, die Geschenke in die Stadt bringen?

Vergleicht man diese Malerei aus der Zeit um 1970 mit dem ersten Beispiel aus den 1950er Jahren, so zeigt sich vor allem Konstanz: Man findet Jerusalem als großen Block, einen Zaun im unteren Bereich, links das Brautpaar, umgeben von zahlreichen fliegenden Engeln, von denen vor allem die Köpfe in Szene gesetzt sind. Morgans bildliche Vorstellungswelten standen einmal fest und wurden immer wieder reproduziert, ähnlich wie manche Predigt ja auch nicht einmal in diese, dann in jene Richtung geht. Diese Malerei „New Jerusalem“ stammt aus einer Privatsammlung. Sie basiert auf Tempera und Bleistift in der Größe 36 x 28 Zentimeter.

Morgan variierte die Stadt eigentlich in zwei Varianten, entweder als rechtwinkligen Block, oder wie hier mit auflösenden Formen: Das Dach biegt sich stärker, auf der linken Seite scheinen die Wohnungen auszubrechen, an vielen Stellen ist die Grenze zwischen der Architektur und den Engeln nicht mehr starr. Andere Elemente bleiben gleich, etwa das Bestreben, das gesamte Bild mit Motiven zu überziehen, oder die Szene mit dem Brautpaar (unten links). Gelb-grün-weiß waren auch hier Morgans bevorzugte Farbkombination. Die 56 x 36 Zentimeter große Malerei (Privatsammlung) ist „New Jerusalem“ betitelt und mit „Sister Morgan“ signiert, man findet beides in der unteren Bildmitte.

Was mit horror vacui gemeint ist, zeigt vielleicht am Besten diese zeichnerische Mixed Media in Pastelltönen (Acryl, Tempera, Bleistift, Tinte), ebenfalls entstanden um 1970. Sie wurde der Öffentlichkeit bekannt durch die Fleisher-Ollman Gallery in Philadelphia, die sie in eine Privatsammlung vermittelte. Hier ist wirklich der gesamte Raum der 46 x 30 Zentimeter entweder mit Engeln oder Details des Neuen Jerusalem ausgefüllt. Es ist eine der wenigen Werke, die Jerusalem als Baukörper mit Stufen im unteren und zinnenartige Rechtecke im Dachbereich zeigen. Innerhalb der Stadt finden sich die vierundzwanzig Älteste, außerhalb das Brautpaar.

Morgan hat auch Alltagsgegenstände mit ihren Malereien versehen, so um 1970 auch einmal einen Fächer. Er kam 2016 als Geschenk von John E. and Douglas O. Robson in die Margaret Z. Robson Collection des Smithsonian American Art Museum (Inventarnummer 2016.38.43R-V). Durch die Präsenz in diesem führenden Museum und Teilnahme an mehreren Ausstellung wurde es eines ihrer bekanntesten Werke. Der obere und untere Bereich waren mit weiteren Engel ausgefüllt, die beim Zuschneiden des Fächers verloren gingen. Die Arbeit ist nicht ganz abgeschlossen; so fehlen die Gesichter der schwarzen Personen (darunter die Braut), oder bei den meisten Figuren der rechten Seite.

Ein weiteres Beispiel aus dieser Zeitperiode, in der Morgan vorzugsweise Verpackungen bemalte, ist diese Arbeit (um 1970). Blau und tiefes Rot sind nun die vorherrschenden Farben. Bereits in ihrem Umriss nimmt das Werk einen Zweiflügelaltar oder ein Haus auf. Es besteht eine klare Zweiteilung: Links stehen der Bräutigam mit seiner Braut Hand in Hand, zwei weitere Personen (Kinder oder Trauzeugen) stehen links von ihnen. Rechts dominiert das Jerusalemsgebäude. Mögen solche Bauten im Œuvre der Künstlerin unterschiedlich dargestellt sein, so vereint sie doch, dass Morgan Wert darauf legte, sie mit zwölf Stockwerken zu zeigen. Hier befindet sich im Dachbereich eine Art Galerie, auf der sechs Bewohner der Stadt Platz genommen haben. Beide Flügel werden durch zahlreiche weiße Engelsfiguren vereint, die den Hintergrund fast komplett abdecken, nur an manchen Stellen erkennt man das Blau des Himmels.

Bei „16 Story New Jerusalem Court/Rosegarten“ (Privatbesitz) steht das Brautpaar in einem Rosengarten im Mittelpunkt, zusätzlich halten beide Personen einen Blumenstrauß in ihren Händen. Sie stehen auf einem breiten, roten Weg, der nach Jerusalem führt. Die Punkte, mit denen Morgan die Rosen markiert, gehen teilweise in den Jerusalemsbau über. Von dem mehrstöckige Block ist rechts nur ein Teil zu sehen. Zählt man seinen grünen horizontalen Balken als zwei Stockwerke, kommt man bei dem Gebäude auf die genannten 16 Stockwerke. Eine besondere biblische Begründung hat diese Zahl nicht. Irrtümlich wird diese 41 x 39 Zentimeter großes Werk aus dem Jahr 1970 auch immer wieder als „12 Story New Jerusalem“ bezeichnet.

Ebenfalls von 1970 ist diese datierte und signierte Malerei, auf der das Neue Jerusalem ein Stockwerk niedriger ist. Der entsprechende Titel ist demnach „New Jerusalem Courts 15 Story“. Die Malerei aus der „Rod Mckeon Collection“ (23 x 22 Zentimeter) stand 2016 zur Auktion an. Im Vergleich zu anderen Werken fallen die Neonfarbtöne auf, auch ist die Malweise noch pointillistischer als ohnehin bei den späteren Arbeiten Morgans. Da die Engel fehlen und statt des Motivs des Brautpaares hier zwei Männer in roter Uniform gezeigt werden, bestehen Zweifel an der Authentizität dieser Malerei, trotz der angeblich „eigenhändigen Unterschrift“.

Eine Malerei des Motivs Jerusalem im Hochkantformat mit 30 x 25 Zentimeter Größe hat Seltenheitswert. Es wurde 1984 vom Birmingham Museum of Art (Alabama) erworben. Die Arbeit in Acryl und Tinte zeigt das Brautpaar inmitten der Stadt, die an drei Seiten von Engeln umgeben ist. Die Reihung der Fenster, Türen, Stockwerke des Bildes ist, wie bei vielen von Morgans Arbeiten, vom Raster geprägt; die Formen repräsentieren weniger sich selbst, sondern übergeordnete Strukturen des Ganzen. Dieses Prinzip verbindet ihre ersten Werke mit dem Spätwerk, zu dem dieses auf 1970 datierte Bild gehört.

Aus der gleichen Zeit, um 1970, und möglicherweise aus dem gleichen Schreibblock, stammt diese Malerei „New Jerusalem“ (Acryl, Gouache), ebenfalls 30 x 25 Zentimeter groß. Wir wissen, dass sie um 1970 von der Borenstein-Galerie in Louisiana von Morgan angekauft wurde. Im Prinzip ist es ähnlich aufgebaut wie das vorherige Werk, vornehmlich die Kolorierung wurde variiert.

Bei diesem Werk handelt es sich um eine Acryl-Malerei auf der Verpackung einer Gebäckschachtel (Größe 36 x 23 Zentimeter). Entstanden ist sie um 1970 und befindet sich in Privatbesitz. Die Bildelemente vereine die typischen Bestandteile eines Neuen Jerusalem nach Morgan: zahlreiche Engel, das Brautpaar (links), einen umzäunten Paradiesgarten (unten), den Lebensbaum (rechts). In der Mitte befindet sich die eigentliche Stadt, die, wie fast immer bei Morgan, aus zwölf Stockwerken besteht. Einzelne Stockwerke kragen oben aus, andere in der Mitte sind zusammengefasst. Wie immer ist die Wandseite zum Betrachter hin weggelassen, so dass man direkt in die Wohnungen bzw. das Stadtinnere sehen kann.

Eine ähnliche Fassung wie auf der Gebäckschachtel ist auf das Jahr 1970 datiert. Die 48 x 29 Zentimeter große Arbeit in Mixed Media entstammt aus dem Besitz des Lyrikers Rod McKuen. Ihr Titel ist oben rechts handschriftlich eingeschrieben: „New Jerusalem Hotel“. Bei manchen Details tritt der Jerusalemsgedanke etwas zurück. So fehlt die Farbenfreude der einzelnen Stockwerke, die hier auch nicht zwölf ausmacht, sondern alles basiert auf ca. einhundert rote und weiße Kästchen. Statt dem schmalen Lebensbaum findet man lediglich etwas Gebüsch seitlich unten. Die kubusartige Gestalt und die Engel links sind jedoch wieder Argumente für eine Darstellung des Himmlischen Jerusalems. Letztlich kann man dieses ja auch als großes Hotel verstehen – den individuellen Interpretationen sind kaum Grenzen gesetzt.

Das letzte Beispiel in der Größe 56 x 36 Zentimeter ist aus der Sammlung des Smithsonian American Art Museum in Washington, D.C., als Vermächtnis von George und Sue Viener. Es dokumentiert eine weitere Variante dieser Serie: Bilder in leuchtenden, fröhlichen Farben. Es ist etwa zwischen 1970 und 1974 entstanden und zählt damit bereits zum Spätwerk. Das Bauwerk und die Engel ähneln sich mit einer früheren Fassung „New Jerusalem“ (1970), allerdings wurde hier der Weg zur Stadt von der Künstlerin weggelassen.

Dieses Werk würde man zunächst nicht mit dem Neuen Jerusalem in Verbindung bringen. Im Spätwerk Morgans gibt es eine Reihe von Arbeiten, die die Stadt jetzt als kleinen Würfel zeigen, hier von den 24 Ältesten und zahlreichen weißen Engeln mit roten Haaren umgeben. So unscheinbar der Bau auch ist, so hat er doch die bei Morgan geradezu obligatorischen zwölf Stockwerke. Der Titel der 22 x 15 Zentimeter große Malerei in Acryl und Tinte heißt „Lord, I don‘t Wait to Be“. Sie kam 1998 als Geschenk der Glitter-Yelen-Stiftung in das Louisiana-State-Museum (Inventarnummer 1998.025.030). 2018 war sie Teil einer Ausstellung „Soul of the South“ im Capitol Park Museum in Baton Rouge.

Viele Arbeiten der späten, letzten Phase eint, dass große Teile der Werke jetzt weiß belassen sind. Eine ganz besonderes Beispiel, 58 x 31 Zentimeter groß, ist „Come in my Room, come on in the Prayer Room“ („Komme in mein Haus, komme hinein in das Gebetshaus“). Weder der Titel noch ein erster Blick auf die Darstellung deuten darauf hin, dass hier das Neue Jerusalem eine Rolle spielt. Mittig rechts steht ein gewaltiges Eingangsportal, links davon kann man direkt in eine Wohnung hineinsehen, als würde es keine Wand geben. Versammelt sind die bekannten Innenszenen, die man auch von anderen ihrer Bilder her kennt: Tische und Stühle, Schränke, ein Blumenbukett. Daneben sitzt eine Frau in weißen Gewand, offensichtlich Morgan selbst als Braut gekleidet. Direkt neben ihr ist ein Wandbild aufgemalt: dieses zeigt das Hauptmotiv der Künstlerin: ein einfaches rotes Himmlisches Jerusalem mit seinen für Morgan typischen Stockwerken und brauner Rahmung. Damit handelt es sich um ein Bild im Bild, und Morgan spielt gleichzeitig auf eine frühere Fotografie an (siehe oben), die die Künstlerin sitzend neben einem Blumenbukett und einem solchen Wandbild. Die Arbeit wird von Fachleuten auf um 1970 geschätzt, es handelt sich um eine Mischtechnik aus Tempera, Acryl, Kugelschreiber und Bleistift. 1986 wurde sie von dem Smithsonian American Art Museum angekauft (Inventarnummer 1986.65.186).

Dieses Werk scheint unvollendet zu sein, zumindest was den Kubus des Neuen Jerusalem angeht. Dort markieren lediglich zwölf rote Punkte am oberen Abschluss die Edelsteine, Apostel oder Tore der Stadt. Die Engel sowie der linke und rote Balken sind mit wenigen breiten Pinselstrichen aufgemalt. Auch die Struktur des Kubus wirkt reduktionistisch, es sind einfache Rechtecke oder Kästchen, allesamt weiß belassen. Die Arbeit aus der Gallery of Everything gehört in die „weiße Phase“ der Künstlerin und ist um 1970 entstanden. Sie ist auch nicht beschriftet, man hat ihr den Titel „New Jerusalem“ gegeben.

Eine eigene Untergruppe sind Gebetszettel. Die sind Zettel, auf denen Morgan zwei, drei Bibelverse in blauer Tinte aufgeschrieben hat und die mit einer kleinen Beizeichnung versehen sind. Diese Zeichnung ist hier dem Text untergeordnet. Man vermutet, dass solche Zettel Besuchern mitgegeben wurden, die Morgan ein bestimmtes Anliegen vorbrachten – sie entstanden also spontan, ohne Entwurf, innerhalb von wenigen Minuten. Eigentlich handelt es sich um fromme Gebrauchsgrafik. Selbst solche Zettelchen werden heute auf Auktionen zu Geld gemacht, erreichen aber freilich nur den Bruchteil des Wertes ihrer Malereien. Ein solches Beispiel, lediglich 13 x 8 Zentimeter groß, wurde 2017 in New Orleans versteigert. Auf der Vorderseite hat Morgan neben dem Brautpaar ein kleines Rechteck mit Buntstiften aufgemalt. Selbst bei solchen Mikrozeichnungen wurde Wert darauf gelegt, dass der Baukörper aus zwölf Stockwerken besteht. „Prophetess Morgan“ ist der Zettel an der linken Seite selbstbewusst signiert.

Eine ähnliche Arbeit, „Everlasting Gospel Prayer Mission“ (11 x 9 Zentimeter groß, Privatsammlung) ist die Vorderseite eines Briefes oder Paketes mit der Adressenangabe der Künstlerin. Die flüchtig aufgemalten Objekte links und rechts ähneln sich in Proportion und Farbe. Nur rechts handelt es sich um das Neue Jerusalem, die ehemals detaillierte Oberfächengestaltung mit Fenstern, Türen und Möbeln aller Art wird zu einer mehr abstrakten geometrischen Darstellung von rosa- und türkisfarbenen Kästchen. Diese Kästchen findet man auch links, wo das Wohnhaus der Künstlerin dargestellt ist, einschließlich Morgan als tanzende Braut.

Ein letztes Werk dieser weißen Periode wurde von einem Auktionator auf 1971 datiert, damit wäre es eine der letzten Malereien Morgans überhaupt. Der ihm gegebene Titel lautet „I Am Weak, I’m Worried“. Links sitzt eine weiß gekleidete Person beim Klavierspiel. Ihr ist das Neue Jerusalem gegenübergesetzt, erneut als Block mit rosa- und türkisfarbenen Kästchen, die sich auf zwölf Ebenen verteilen. Zwei weitere Personen stehen rechts neben dem Bauwerk, offensichtlich das Brautpaar.

1971 kam „Let‘s make a Record (from my Lord)“ auf den Markt – spätestens zu diesem Zeitpunkt war Morgan ein bekannte Künstlerin, zahlreiche Sammlungen und Museum hatten bereits Arbeiten von ihr aufgenommen. Heute ist ist Morgan eine gefeierte Künstlerin, es gibt von ihr Ausstellungen, zu ihr wissenschaftliche Literatur und hunderte ihrer Arbeiten werden zu Preisen gehandelt, die eines belegen: Morgan ist keineswegs eine Außenseiter-Künstlerin, als die sie immer noch vermarktet wird. „Let‘s make a Record“ hat maßgeblich ihre Bekanntheit erhöht, noch 2022 wurde diese Platte auf Auktionen gehandelt. Das dazugehörige Cover kann früher als 1971 entstanden sein. Auf der rechten Seite sind die Musikstücke der A- und B-Seite angeführt, links wird ihr Lieblingsgegenstand gezeigt: das Neue Jerusalem. Es ist ein zwölfstöckiger Block, von Engeln umgeben. Oben findet man in Bleistift den Titel („New Jerusalem“), unten steht „it‘s getting late“, was sich auf die angeblich unmittelbar anstehende Parusie bezieht. Ansonsten wurde die Malerei im Original in Acryl und Tinte ausgeführt, die Größe ist 30,4 x 30,4 Zentimeter, das Standartmaß einer Langspielplatte.
Jedes Cover ist ein Unikat, wobei Morgan wie folgt vorging: Es gab (oder gibt immer noch) von dem Cover eine Art Urfassung. Auf dieser waren die Songs aufgedruckt und die Zeichnung mit Bleistift vorgezeichnet. Die farbige Acrymalerei wurde dann individuell hinzugefügt, es ist eigentlich eine Schablonenmalerei, bei der sich die Farben nur geringfügig ändern, da Morgan bestimmte Vorlieben wiederholte: Umriss Jerusalems dunkelrot, Untergrund des Brautpaares grün, Brautkleid weiß usw. Im Laufe der Jahre habe ich auf Auktionen genau 23 unterschiedliche Cover entdecken können (Stand 2025), von denen ich vier ausgewählte Fassungen präsentiere. Wie viele Cover Morgan insgesamt produzierte, ist nicht bekannt.

1972 entstand „Titanic SHIP“ in Mischtechnik (Acryl, Wasserfarben, Bleistift, Tinte), welches in der Sammlung Stephanie und John Smither in der Menil-Collection (Houston) aufbewahrt wird. Die Größe der Malerei beträgt 54 x 34 Zentimeter. Der säkulare Charakter tritt hier etwas zurück, so finden sich bei dem Bauwerk nicht länger die zwölf Stockwerke, auch auf die Engel und sogar auf das Brautpaar wurde verzichtet, zugunsten profaner Szenen: Man spielt Tennis, macht Gartenarbeit oder liegt faul auf einer Wiese. Der einstige Lebensbaum ist zu einem dürren Gewächs geworden, das immer noch das gesamte Gebäude zweiteilt, doch dominanter sind die Bäume links wie rechts des Gebäudes im Freien. Warum dieses Jerusalem mit der untergehenden Titanic in Bezug gebracht wurde, bleibt ein Geheimnis Morgans – die Künstlerin hat es jedenfalls so zwischen die Stockwerke handschriftlich in Bleistift eingeschrieben.

Diese Fassung „New Jerusalem“ ist sicherlich eine an Farbintensität und Buntheit kaum mehr zu übertreffende Malerei; sie ist Höhe- und Schlusspunkt der Auseinandersetzung Morgans mit dem Himmlischen Jerusalem. Gleichzeitig entsprachen die orangen und braunen Töne der Mode der 1970er Jahre – Morgan war hier ganz auf der Höhe ihrer Zeit, ihr Bild entstand 1972. Das Brautpaar findet man mindestens an drei Positionen des Bildes. Die Stadt in der Mitte ist ein Mosaik aus Fenstern, Türen, Möbelstücken und Bewohnern. Ein schmaler, vertikaler Bauteil links ist durch den Lebensbaum von einem breiteren, horizontalen Teil rechts getrennt. Auch die Zäune unten führen das Motiv der Trennung fort. Umherfliegende Engel fehlen fast auf keiner Jerusalemsmalerei Morgans; einzigartig ist hingegen das grüne Satteldach. Das Ölgemälde auf Acrylbasis hat eine Größe von 28 x 22 Zentimeter. Es ist Teil der Sammlung Kurt Gitter, welcher es 1988 von einem anderen Sammler aufkaufte.

„Precious Lord“ ist eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Acrylmalerei Morgans. Farbwahl und Bearbeitung verweisen eindeutig in die Spätzeit. Die Angabe des Auktionshauses „von 1970 bis 1975“ kann jedoch auf „um spätestens 1972“ eingegrenzt werden, da Morgan 1975, bis auf wenige dokumentierte Ausnahmen, mit dem Malen aufgehört hatte. Bemerkenswert ist mit 101 x 33 Zentimeter ungewöhnlich breite Arbeit, sicherlich eines ihrer größten Werke überhaupt. Hier reiht sich Motiv an Motiv: ein Wohnhaus, ein Garten, eine Sonne mit Menschengesicht, ein Hund sowie ein Pueblohaus. Dazwischen ein Jerusalemsbauwerk im typischen Spätstil (siehe Detail): Während zu Beginn viele Bauwerke zwei Flügel hatten, ist der zweite Flügel links zu einem Vorbau geschrumpft. Typisch sind auch die blau-roten Kästchen, während Bewohner oder Möbel nicht mehr aufgenommen sind. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass hier die Stockwerkzahl geringfügig unter Zwölf liegt. Und zuletzt: Die Gebote zu diesem Werk endeten 2017 bei einem Preis von USD 68.750,00 (€ 63.693) und damit 72% über dem oberen Schätzpreis. Dieses hohe Ergebnis macht „Precious Lord“ zu dem vermutlich teuersten Kunstwerk von Gertrude Morgan, was bislang bei Auktionen beobachtet wurde (Stand 2023).

Dieses Kunstwerk soll im Jahr 1975 entstanden sein, was vom Ogden Museum of Southern Art, wo sich diese Arbeit seit 2003 befindet (Inventarnummer 2003.1.395), bestätigt wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab die Künstlerin das Malen auf, dieses ist mit Abstand ihr allerletztes „New Jerusalem“, welches allerdings den Titel „Kingdom Mansion“ trägt. Die Ölmalerei der Größe 51 x 30 Zentimeter wurde auf eine Verpackung aufgemalt, man kann an drei Stellen noch Knickfalten erkennen. Die Malerei löst sich immer mehr zu einer eruptiven, schwungvollen Abstraktion auf. Die Stadt scheint aus blauen Steinen zusammen gesetzt, die Fenster und Türen sind grüne Flecke, während rote Flecke die wenigen Möbel markieren. Die Stadt macht den gesamten rechten Block aus, zieht sich auf die linke Seite, wobei unklar ist, wo genau die Stadt in einen Innenraum oder eine Landschaft übergeht. Auch die Engel sind nicht mehr detailliert herausgearbeitete Wesen, sondern rote Striche mit wenigen Punkten, die ein Gesicht markieren sollen.

Louisiana folk paintings: Bruce Brice, Clementine Hunter, Sister Gertrude Morgan, New York 1973.
Gail Andrews Trechsel (Hrsg.): Pictured in my mind. Contemporary American self-taught art, Birmingham 1995.
Arnett, Paul, William Arnett: Souls grown deep. African American vernacular art of the South, Atlanta 2000.
William A. Fagaly (Hrsg.): Tools of her ministry. The art of Sister Gertrude Morgan, New York 2004.
King Britt, Gertrude Morgan: King Britt presents Sister Gertrude Morgan, New York 2005.
Michelle White: As essential as dreams. Self-taught art from the collection of Stephanie and John Smither, New Haven 2016.
Hillary Keeney: Sister Gertrude Morgan, the mystic of New Orleans, o.O., 2023.

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