Gertrude Morgan (1900-1980): „New Jerusalem“ (1960er und 1970er Jahre)

Die Nonne Gertrude Morgan produzierte von den späten 1950er bis frühen 1970er Jahren zahlreiche Grafiken des Neuen Jerusalem. Sie haben nur teilweise den Weg in Museen gefunden, sondern sind zum größten Teil noch in Hand von Privatsammlungen überwiegend in den USA. Niemand hat einen Überblick, um wie viele Werke es sich genau handelt, und kein Jahr vergeht, in dem nicht irgendein Auktionshaus ein neues „New Jerusalem“ anpreist.
Das Neue Jerusalem von Sister Morgan, wie die Künstlerin sich selbst nannte, wird meist als mehrstöckiges Haus, annähernd quadratisch, mit vielen Wohnungen dargestellt. In den Wohnungen ist gelegentlich Mobiliar zu sehen, im Außenbereich finden sich mitunter Tischtennisanlagen und Gemüsegärten. Meist grenzt das Gebäude bis nahe an den Bildrand, an dem oft Heerscharen von Engeln den Hintergrund ausfüllen.
Gertrude Morgan (1900-1980) stammt aus Lafayette, Alabama, und wuchs als Afroamerikanerin in ärmsten Verhältnissen auf. Sie arbeitete als Musikerin, Malerin und Sängerin. In den 1950 Jahren will sie von Gott den Ruf zur Malkunst erhalten haben und machte sich ohne Vorkenntnisse ans Werk. Hunderte von Bildern entstanden in kurzer Zeit, auf Papier, Pappkarton und sogar Toilettenpapier – alles wurde bemalt. Ihre Bilder benutzte sie teilweise bei ihren Predigten, um Leseunkundige besser erreichen zu können, bei denen sie in einer Art weißer Uniform als Braut Christi auftrat. Innerhalb kürzester Zeit wurde sie in den Südstaaten zur Kultfigur der Hippiebewegung. Nach ihrem Tod 1980 wurde sie von einem fulminanten Bestattungszug durch New Orleans getragen, und dann anonym auf einem Friedhof weit außerhalb der Stadt begraben.
Das erste Kunstwerk (oben) ist aus der Frühzeit der Künstlerin, es entstand um 1960 und hat den Titel „Rev. 19 Chap.“. Es ist ein Werk in Mischtechnik, u.a. Wasserfarben, Bleistift und Tinte. Vor einem Haus, welches das Neue Jerusalem mit zahlreichen Wohnungen repräsentiert, stehen eine Braut und ein Bräutigam. Die heilige Stadt in Verbindung mit einer Hochzeitsfeier ist typisch für die Darstellungsweise von Morgan. „Rev. 19 Chap.“ gelangte aus einer Privatsammlung in das Louisiana State Museum in New Orleans, welches heute die bedeutendste Sammlung der Künstlerin besitzt.

Das hiesige Beispiel stammt ebenfalls aus dem Louisiana State Museum in New Orleans, welches es 1981 als Schenkung erhielt. Links unten ist es mit Bleistift mit „Sister Gertrude Morgan“ signiert, gegenüber dem Titel des Bildes: „New Jerusalem Court, Gloryland St.“. Es ist aus Acrylfarben und Tinte gearbeitet und kommt auf eine Größe von 33 x 33 Zentimetern. Die undatierte Arbeit wird von dem Museum auf die 1960er Jahre geschätzt. Es ist eine typische Morgan-Arbeit, die die Stadt als Haus mit acht Stockwerken zeigt, in dem zahlreiche Wohnungen untergebracht sind. Dazwischen schiebt sich eine rote, eine blaue und eine gelbe Treppe. Unten bilden zahlreiche weiße Kästchen ein rasterartiges Fundament, nach oben ist der Bau leicht gerundet, als hätte er eine graue Kuppel aufgesetzt bekommen. Im Gegensatz zu anderen ihrer Werke wurde hier auf die Beigabe von Menschen, Engeln oder Tieren verzichtet.

Das letzte Beispiel in der Größe 56 x 36 Zentimeter ist aus der Sammlung des Smithsonian American Art Museum in Washington, D.C., als Vermächtnis von George und Sue Viener. Es dokumentiert eine weitere Variante dieser Serie: Bilder in leuchtenden, fröhlichen Farben. Es ist etwa zwischen 1970 und 1974 entstanden und zählt bereits zum Spätwerk. Das Bauwerk und die Engel ähneln sich mit einer früheren Fassung „New Jerusalem“ (1970), allerdings wurde hier der Weg zur Stadt von der Künstlerin weggelassen.

Louisiana folk paintings: Bruce Brice, Clementine Hunter, Sister Gertrude Morgan, New York 1973.
William A. Fagaly (Hrsg.): Tools of her ministry. The art of Sister Gertrude Morgan, New York 2004. 

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tags: USA, Prophetic Art, Gospel, Naivität, Nonne, Kult, Südstaaten, Acryl, Brautpaar, Engel, Louisiana State Museum in New Orleans, Smithsonian American Art Museum in Washington, D.C.
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