Hermann Pohl (1917-1998): Türgriff in der Marktkirche von Eschwege (um 1990)

Eigentlich liegt es nahe, den Griff einer Kirchentür mit dem Motiv des Himmlischen Jerusalem auszustatten: Hier betritt man, zumindest nach römisch-katholischer Lehre, den Raum göttlicher Präsenz, und es gibt eine Interpretation, die die irdische Kirche als Vorwegnahme des späteren Himmlischen Jerusalem betrachtet. Zwar kennen wir zahlreiche Beispiele, bei dem das Himmlische Jerusalem im Türbereich zu finden ist (meist im Tympanon, aber auch als Verglasung über dem Türbogen). Als Schmuck eines Türgriffes kannte ich bislang nur St. Bartholomäus in Marl-Polsum (1967).
Es gibt jedoch zumindest ein Beispiel für eine evangelische Kirche, nämlich in Nordhessen. In Eschweges Altstadt findet man die Marktkirche St. Dionys (auch Altstädter Kirche genannt), die in ihrer Bausubstanz ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Bekannter ist sie für die Fürstengruft und eine barocke Orgel. Im 20. Jahrhundert wurde die historische Bausubstanz ergänzt um ein Lesepult, einen Osterleuchter und Türgriffe. Dabei wurden drei Eingänge mit Glastüren im Innenbereich versehen, um vor allem Heizkosten zu sparen und die Akustik bei Orgelkonzerten zu verbessern. Da jede der Doppeltüren an der Außenseite zwei, an der Innenseite ebenfalls zwei Griffe haben sollte, wurden insgesamt zwölf Griffe benötigt. Für diese und auch die anderen genanten Gegenstände beauftragte man den Bildhauer Hermann Pohl (1917-1998) aus Kassel.

Derjenige Türgriff mit dem Himmlischen Jerusalem befindet sich an der Außenseite des Westeingangs, dem Chor gegenüber gelegen. Wie die übrigen ist er komplett aus Bronze gearbeitet. Bei der Darstellung fällt sogleich eine Besonderheit auf. Das Zentrum ist nicht mit dem Lamm Gottes oder mit Christus auf dem Thron besetzt, sondern mit einem Engel, beeinflusst in der Darstellung von Ernst Barlach. Der Engel vermisst mit einem Stab die Größe der Stadt, wie es in der Johannesoffenbarung beschrieben ist. Eine derartig prominente Hervorhebung des Engels ist selten, gewöhnlich wird er neben Johannes vor der Stadt gezeigt. Seine Position in der Stadt war im Mittelalter verbreiteter, etwa in einigen der Beatusminiaturen. Die Konzeption der Stadt verrät die souveräne Beherrschung der Form: Die Stadt ist im Quadrat gezeigt, drei Tore an jeder Seite. In das äußere Quadrat ist ein zweites Quadrat gesetzt, um 90 Grad gedreht. Zwischen den beiden Quadraten bleiben Flächen frei, oben sind sie geschlossen, unten geöffnet, wo Licht durch die Glastür nach außen dringt – ein gestalterischer Effekt, den auch die anderen Türgriffe aufweisen.

Fritz Delius: Spätgotische Marktkirche von Eschwege, in: Hessischer Gebirgsbote, 96, 1, 1995, S. 5-7.
Hermann Pohl: Wort und Gestaltung. Bildwerke in Kurhessen-Waldeck, Kassel 1997.
Kirchenvorstand der Altstädter Gemeinde in Eschwege (Hrsg.): Marktkirche St. Dionys in Eschwege, Kassel 1998.

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tags: Türgriff, Hessen, Bronze, Maßstab, Engel
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