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Hermann Geyer (1934-2016): Andanacher Weltgericht aus der ehemaligen Kirche St. Albert (1986)

Hermann Geyer (1934-2016) war schon in der Heilig Geist Kapelle in Ergenzingen mit einem Neuen Jerusalem hervorgetreten, das war 1980. Wenige Jahre später bekam er einen Auftrag für ein modernes Weltgericht für die römisch-katholische Kirche St. Albert. Die Kirche mit diesem Namen befand sich in der Innenstadt von Andernach am Rhein. Ende des 20. Jahrhunderts wurde sie profaniert, das Gebäude an die Kopten verkauft, die die Kirche nach umfangreicher Neugestaltung für ihre Gottesdienste nutzen, unter dem neuen Namen Hl. Maria & St. Petrus. Der Bau war 1954 als Notkirche auch für Heimatvertriebene errichtet worden. Die Erstausstattung war einfach und wurde im Laufe der Jahre aufgewertet. Noch Ende der 1980er Jahre, als eigentlich schon die Umstrukturierungen in der Bevölkerung und der Rückgang der Katholiken absehbar war, investierte man hoffnungsvoll in neue Buntglasfenster. Vorhanden waren bereits Fenster von Wilhelm Geyer aus den 1960er Jahren. Jetzt trat man an den Sohn heran mit der Bitte, zwei Fenster der Größe 5 x 12 Meter ergänzend für die Kapelle zu entwerfen. Hermann Geyer hatte inzwischen das Atelier seines Vaters in Ulm übernommen und lieferte zwei Monumentalfenster mit apokalyptischen Szenen, die 1986 in der Manufaktur W. Derix in Rottweil und Taunusstein hergestellt wurden. Diese Namen und das Datum sind auf dem Fenster unten rechts angegeben.

Dasjenige Fenster mit dem Weltgericht zeigt oben das Neue Jerusalem: In einem Quadrat finden sich vier schwarze Löcher um den Buchstaben „H“ – um was handelt es sich? Der Buchstabe ist der Thron Gottes, hier unbesetzt. Er ist von den vier Paradiesflüsse Perat (Euphrat), Hiddekel (Tigris), Gihon (Nil) und Pischon (Ganges) umgeben. Nach unten durchbricht der vereinigte Fluss die Stadtmauer. Diese Mauer besteht aus zwölf Rundbogentoren. Sie sind innen mit einer marmorierten Kugel geschmückt, eine Kombination aus den Perlen und den Edelsteinen, die an gläserne Murmeln dieser Zeit erinnern. Oben stehen Engel auf den Toren. Zwischen dem Erkenntnis- und Lebensbaum fliest das Wasser weiter nach unten. Dort zieht Christus, der sich eigentlich im Himmlischen Jerusalem auf dem Thron befinden müsste, Menschen aus den Gräbern – eine Szene aus mittelalterlichen Wandbildern, wo stets Engel diese Arbeit übernehmen.

Darunter wäre die Hölle zu erwarten, was aber am Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland in einer Konfessionskirche kaum mehr darstellbar war. Stattdessen findet man die reale Welt der 1980er Jahre, aber in einer kritischen, irgendwie auch prophetischen Weise: Autos stauen sich auf einer Bahn. Im Fernseher das gleiche Bild: Ein Auto als Götze. Anonyme Hochhäuser reihen sich aneinander. Erschrockene Menschen sitzen vor Bildschirmen und lassen sich berieseln. 

Apokalypse. Grafiken, Gouachen, Dagmar A. Gallinger, Hermann Geyer, Hans Joachim Klug, Hubertus von Pilgrim, München 1988.
Gemeinschaftlich orientiert. Pfarrkirche St. Albert in Andernach, in: Albert Gerhards, Thomas Sternberg (Hrsg.): Communio-Räume, Regensburg 2003, S. 191-196.

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tags: Zeitkritik, Profanierung, Monumentalfenster, Lebensfluss, Hölle, Manufaktur Derix
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