Shmuel Katz (1926-2010): Russische gemalte Stadtvision „Himmlisches Jerusalem“ (1972)

„Himmlisches Jerusalem“ heißt diese 1972 von Shmuel Katz (1926-2010) geschaffene Zeichnung der Größe 67 x 38 Zentimeter. Im unteren und mittleren Teil ist eine steil aufsteigende Stadt teilweise von Wolken umfangen. Zunächst könnte man meinen, dass die Stadt auf einem Hügel steht, doch das ist nicht der Fall. Es handelt sich nämlich im unteren Bereich nicht um Erde, sondern um dunklere Architekturdetails. Im mittleren Teil sind schmale, unregelmäßige, hohe Tore zu erkennen, die wie Fahrstühle in die Stadt führen. Der untere Teil ist auch hier dunkler, nach oben nimmt dann die Helligkeit zu. Es ist keine moderne Architektur, sondern eine ruineske Szenerie antiker Bauten. Im oberen Teil sind dann ausschließlich Türme und Kuppeln, mit Kreuzen bekrönt, zu sehen.
Die Stadt erscheint nicht nur verfallen, sondern auch verlassen. Bewohner und Engel fehlen, nicht einmal Christus oder das Gotteslamm sind dargestellt. Mit den verwinkelten Treppen und ineinander geschobenen Baukörpern macht die Stadt den Eindruck, als könne man sich in ihr verlieren, wenn man den Weg nicht kennt. Der Künstler schrieb 2002 dazu: „Die Arbeit entstand in einer schwierigen Lebensphase, zwischen Zweifel, Hoffnungslosigkeit und Krankheit. Es ist im Ergebnis offen, ob es sich um die Stadt Jerusalem handelt, oder ob unten das irdische und oben das himmlische Jerusalem dargestellt ist. (…) Daher heißt das Blatt manchmal auch ‚Jerusalem‘, dann wieder ‚Himmlisches Jerusalem‘, je nach dem. (….) Es gibt mehrere Fassungen, auch als Lithograph wird sie von mir angeboten.“
Der Künstler wurde 1926 in Wien als Alexander Katz geboren. Seine künstlerische Karriere begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit einem Architekturstudium an der Technischen Universität Budapest. Schon 1946 versuchte er nach Palästina auszuwandern, was nach Umwegen und Inhaftierungen schließlich gelang. Er gründete 1948 das Kibbuz Ga’aton (Mateh Ascher), wo er über sechzig Jahre lebte und als Zeichner, Bildhauer und Designer arbeitete. Vor allem als Illustrator für Kinder- und Jugendbücher war er erfolgreich. 1954 besuchte er erneut eine Hochschule, diesmal die École nationale supérieure des beaux-arts von Paris, kehrte aber nach wenigen Monaten enttäuscht nach Israel zurück. In den folgenden Jahren reiste er viel, wobei er für Verlage, Zeitschriften und Zeitungen, vor allem Davar Hashavua und Maariw, als Illustrator arbeitete. 2010 verstarb Katz in Naharija bei Haifa.

Ursula Seeber (Hrsg.): Kleine Verbündete. Vertriebene österreichische Kinder- und Jugendliteratur, Wien 1998.
Shmuel Alexander Katz: Mein Schicksal war die Ausnahme. Erinnerungen eines Zeichners und Karikaturisten an Österreich, Ungarn und Israel, hrsg. von Martha Keil im Auftrag des Institutes für Geschichte der Juden in Österreich, Graz 2001.
Claus Bernet: Zeichnungen, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 19).

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tags: Israel, Wolken, Stadtutopie, Lithographie
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