Charles David Whittemore (1953-2017): Himmelspforten (1998)

Dem US-Amerikaner Charles David Whittemore (1953-2017) aus New Hampshire verdanken wir eine neuartige und originelle, kreative Interpretation der Himmelspforte. Allein dieser Einfall, weniger die künstlerische Ausfertigung, rechtfertigen die Aufnahme in diese Dokumentation. Zu dieser Pforte führt ein schmaler, aber dynamisch geschwungener Weg, der zum Betrachter hin breiter wird. Dieser Weg ist nun nicht etwa, wie auf viele anderen Kunstwerken, mit Heiligen oder Engeln besetzt, sondern er ist mit zahlreichen Platten gepflastert, die beschriftet sind. Es sind die Bücher der Bibel, die hier das Fundament eines Weges legen.

Links und rechts des Weges sind Blumen und Vögel zu sehen; der Himmel wird von dem Tor aus hell erleuchtet. Im Vordergrund führt der Weg über eine Hügellandschaft, er beginnt mit dem Buch Genesis und den Propheten (etwa Hiob). Im Hintergrund wird der Weg schmaler, führt schließlich in den blauen Himmels nach oben. Bis zuletzt ist er mit Büchern gepflastert, auch wenn man die Titel nicht mehr lesen kann. Whittemore soll auf diesen Einfall auf folgende Art gekommen sein: „Eines nachts, ich weiß noch den genauen Tag, lief ich einen Weg mühsam nach oben. Ein Engel an meiner Seite begleitete mich und machte mich auf die Platten des Bodens aufmerksam, in dem er Sprach: ‚Verlasse niemals diesen Weg Gottes, richte dich nach den Gesetzen und schreite mutig voran. Schaue genau, in welcher Anordnung sie gesetzt sind, merke es Dir, zeichne es auf und teile es den Menschen mit. Noch in der Nacht stand ich auf und fertigte in einer Viertelstunde eine Zeichnung dazu an.“ Diese Entstehungsgeschichte mag im säkularen Europa gewöhnungsbedürftig klingen, in den USA und auch in Lateinamerika ist solches öfters zu hören. Manchmal spricht ein Engel oder Gott über das, was dargestellt werden soll, oder die göttlichen Kräfte greifen gleich selbst zu Zeichenstift oder Pinsel – „Prophetic Art“ heißt diese Kunstgattung.
Charles David Whittemore arbeitete an dem Thema weiter. 2011 entwarf er mehrere Zeichnungen für den christlichen Internetauftritt „Signs Of Heaven“. Es handelt sich dabei um ein einfaches Rundbogentor, dessen Rahmen die Namen „Castor“ und „Pollux“ tragen. Diese Zwillingssterne nahe dem Orion sollen als besonders helle Gestirne die Pforte erleuchten bzw. auf sie hinweisen, was durch den schwarzen Hintergrund der Grafik deutlich wird.


Bei einer Fassung beginnt es vorne mit der Offenbarung (Revelation), bei einer Variante (ebenfalls von 2011) beginnt der Weg mit dem Matthäusevangelium. Anscheinend gibt es keinen festen Kanon. Im Hintergrund folgen dann weitere Bücher. Die Aussage ist jedoch klar: Wer sich diesen Schriften anvertraut, wird in das Himmlische Jerusalem gelangen. Die biblischen Bücher bauen aufeinander auf und vollenden sich in der Stadt Gottes – eine Idee, die Whittemore überzeugend löste und damit die Darstellungen des Tugendweges oder des Pilgerwegs um eine neue Variante bereicherte.

Claus Bernet: Neues vom Neuen Jerusalem: Kunstwerke ab dem Jahre 2000 (Teil 5), Norderstedt 2019 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 45).

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tags: Einwegbild, Grafik, Pforte, Bibelbücher, Pflaster, Castor, Pollux, Stern, Hiob, Prophetic Art, USA
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