Simon Segal (1898-1969): Apokalypsezyklus (1969)

Am Ende seines Lebens legte Simon Segal (1898-1969) einen Zyklus zur Apokalypse vor, dessen letztes Blatt das Himmlische Jerusalem zeigt. Der Künstler stammt aus einer jüdischen Familie aus Białystok, flüchtete nach dem Ersten Weltkrieg nach Berlin und zog 1926 nach Frankreich (Toulon), wo er sich vor allem mit dem Expressionismus, der Kunst afrikanischer Völker und der Naiven Kunst beschäftigte. Seine Lithographie-Serie erschien in 150 Exemplaren zwischen 1966 und 1969 bei Jacques Desjobert. Zu den letzten, 1969 veröffentlichten Blättern gehört dasjenige mit dem Neuen Jerusalem. Man findet das Bild in dem Band „L‘ Apocalypse selon Saint Jean“, der in geringer Auflage 1969 in Paris unter Mitarbeit von Michel Kieffer entstand. Der Band ist selten: In Deutschland gibt es in keiner öffentlichen Bibliothek auch nur ein einziges Exemplar, im Antiquariat wurde er für knapp 250 Euro angeboten (2022).
Zu sehen ist eine gelbe Stadt mit türkisfarbenen Dächern, die giebel- und traufständig stehen. Ungewöhnlich erscheint mir, dass auf dieser Illustration ein Teil der Stadtmauer nicht vor, sondern hinter der Stadt steht, man sieht deutlich einzelne Steine und Zinnen über den Häusern. Auf ihnen stehen vier Dreiergruppen gewaltiger Engelsfiguren, die Jerusalem offensichtlich bewachen und mit ihren großen Flügeln einen abwehrenden Eindruck machen. Eine Besonderheit: Darf man der Reproduktion trauen, dann haben diese Engelsfiguren tatsächlich keine Gesichter. Vielleicht, weil diese Figuren eben keine Menschen sind, vielleicht aber auch, weil Gesichtslosigkeit damals eine Modeerscheinung war. In der Mitte des Bildes bzw. dem Zentrum der Stadt wächst der Lebensbaum als Keimling oder Sukkulent mit sieben Blättern hervor. Dieser Baum, aber auch die Häuser, der wellenförmige Lebensfluss und viele andere Details sind bewusst naiv gemalt. Selbstverständlich wäre der ausgebildete Maler leicht in der Lage gewesen, kindliche oder fröhliche Bildelemente, wie die Wellenbewegung des Wassers oder die Häuser realistischer oder abstrakter zu malen. Kindlich zu malen, ohne selbst ein Kind zu sein, ist der Anspruch, der sich in dieser Jerusalems-Interpretation widerspiegelt.

Simon Segal: L’Apocalypse selon Saint Jean, Paris 1969.
Simon Segal: Autobiographie, o.O., 1974.

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Beitragsbild: Neil Philip 

tags: Apokalypsezyklus, Kunstdruck, Naivität, Türkis, Frankreich, Neil Philip
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