Die Apokalypse von Angers besteht aus 84 Szenen auf sieben Wandteppichen aus Leinen. Jeder der Teppiche war im Original sechs Meter hoch, fünf davon waren 24 Meter lang. Die meisten Szenen haben sich erhalten, wenngleich auch wie durch ein Wunder: 1782 wurden sie von der königlichen Domänenverwaltung zum Verkauf angeboten. Während der Französischen Revolution zerschnitt man die sieben Teppiche und benutzte sie als Bettvorleger, Decken oder Abdeckplanen, um Orangenbäumchen im Winter vor der Kälte zu schützen. Gerade diese Stücke sind gut auszumachen, da sie ihre ursprüngliche Farbkraft nicht verloren haben. 1843 schließlich erwarb der Bischof von Angers einen großen Teil der Teppichfragmente von der Domänenverwaltung zurück, andere fanden sich erst im Laufe der Zeit wieder. Trotzdem blieb etwa ein Drittel der Szenen für immer verloren. Heute geht man mit der Pretiose freilich sorgsamer um. Man findet sie im Château du Roi René auf dem Burgplateau von Angers. Das dortige Gebäude ist 1953/54 extra für diesen Zweck errichtet worden und soll mit seinen abgedunkelten Räumen die Stücke vor dem weiteren Verbleichen bewahren.
Immerhin zwei Szenen zeigen das Neue Jerusalem, nämlich „Gottes Wohnen unter den Menschen“ (Johannesoffenbarung Kap. 21, Vers 1-8) und „Das neue Jerusalem“ (Johannesoffenbarung Kap. 21, Vers 9-27).
Ursprünglich befand sich unter jedem Bild ein Text, der den Bildinhalt wiedergab. Diese Textstreifen sind jedoch häufig verloren gegangen. Die Bilder haben abwechselnd einen roten und einen blauen Hintergrund. Die Gottesstadt präsentiert sich in beiden Abbildungen als Märchenschloss mit Türmchen und in einer polygonalen Gestalt, die weder mit dem Quadrat noch mit dem Kreis etwas zu tun hat. Die Szene an sich und so gut wie jede Einzelheit kennt man aus zahlreichen Miniaturen des 14. Jahrhunderts. In Angers ist aber nicht aus Miniaturen kopiert worden, sondern die Bilder sind eigene Geschöpfe von Blondol.
Im ersten Bild zeigt Gott, im zweiten ein Engel dem Seher Johannes die Stadt. Einmal schwebt sie über Wasser, einmal steht sie zwischen Blumen und Bäumen inmitten einer Wiese. In beiden Fällen ist links am Bildrand eine weitere Architektur angedeutet. Bei dem Teppich mit dem roten Hintergrund ist dort eine Tür geöffnet, die man eigentlich bei der Stadt erwarten müsste.
Über dieses Meisterstück mittelalterlicher Webkunst ist viel geschrieben worden. Es ist mit Sicherheit der älteste erhaltene Wandteppich Frankreichs und vielleicht der größte Apokalypsezyklus, die jemals gewebt wurde. Er muss in mehreren Jahren zwischen 1378 und 1380 entstanden sein, nach einem Entwurf von Jean de Bondol (oder Hennequin von Brügge). Für welchen Zweck oder welchen Raum diese Tapisserien gedacht waren, ist nicht mehr verifizierbar. Die Ausführung lag in der Verantwortung von Nicolas Bataille, einem talentierten und bekannten Webermeister von Paris, der dafür eine personenstarke Werkstatt unterhielt. Über Arbeitsbedingungen und Entlohnung ist leider nichts überliefert. Je länger sich die Arbeit an den Teppichen hinzog, umso mehr bemühte man sich hier, die Qualität zu steigern (in den meisten Fällen ist es umgekehrt). Die ersten Szenen haben allesamt einen monochromen, einfachen Hintergrund. Später fügte man Blumen, Sterne oder Rankenwerk hinzu. Auch von daher kann man vermuten, dass die beiden Szenen mit dem Himmlischen Jerusalem zuletzt entstanden sein müssen.
Wilfried Hansmann: Die Apokalypse von Angers, Köln 1981.
Pierre-Marie Auzas: Die Apokalypse von Angers, München 1985.
Johanna Scheel: Bilder der Apokalypse im Spätmittelalter. Die Apokalypse von Angers, Frankfurt am Main 2006.
Liliane Delwasse: La tenture de l’Apocalypse d’Angers, Paris 2007.
Motive des berühmten französischen Wandteppichs wurden bei mindestens einem monumentalen modernen Glasfenster kopiert. Ein Ausschnitt einer Glaswand der Pilgerkirche San Pio in der süditalienischen Stadt San Giovanni Rotondo (Apulien), welche der Amerikaner Robert Rauschenberg (1925-2008) im Jahre 2004 geschaffen hat. Er zeigt die Stadt Gottes in der Fassung „Gottes Wohnen unter den Menschen“ (Johannesoffenbarung Kap. 21, Vers 1-8). Zwar zeigt der Ausschnitt die Handschrift eines modernen Künstlers, verzichtet aber nicht auf kleinste Details wie ein lateinisches Kreuz im Dachbereich oder das Fallgitter im mittelalterlichen Tor. Gerade wegen der Genauigkeit der Kopie gegenüber dem Original ist es eigenartig, dass die Wiedergabe offensichtlich seitenverkehrt ist.