Von dem sogenannten „Meister der Blumenornamentik“ ist diese um 1480 entstandene Torszene auf einem Weltgericht geschaffen worden, das auch einem oberrheinischen oder schwäbischen Meister zugeschrieben wurde. Es befindet sich heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (Inventarnummer Gm 110; Leihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen). Ungewöhnlich und mir von keinem anderen mittelalterlichem Werk bekannt ist die Doppelung der Tore, die rundbogig und mit prachtvoller Ornamentik verziert sind, während die oberen Partien des Baus in den Wolken verschwinden. Auf dem Tor finden sich farbige Markierungen auf der Vergoldung, die von weißen Punkten umzogen sind. Diese gaben dem unbekannten Künstler seinen Namen. Dieser wollte jedoch vermutlich keine Blumen darstellen, sondern Edelsteine, die von Perlen umgeben sind, ähnlich, wie bereits die Mauern Jerusalems auf spätantiken Mosaiken dargestellt sind (Santa Cecilia in Trastevere/Rom oder St. Vitalie in Ravenna).
Beide Tore scheinen offen zu stehen, schmale goldene Lichtstrahlen führen aus dem Inneren nach außen. Unten drängen sich zahlreiche Menschen in den Hintergrund. Etwas deutlicher kann man die Personen im Vordergrund erkennen, vor allem deren kostbare Gewänder schienen dem Maler wichtig. Nur die gesellschaftliche Elite darf hier das Neue Jerusalem betreten, reiche Händler und Kaufleute in prächtigen Gewändern, Kirchenfürsten im beeindruckenden Ornat, Mönche mit stattlicher Leibesfülle, als hätte es das Fasten nie gegeben. Zeitaufwendige Frisuren und bunte Hüte aller Art vermitteln ein farbenfrohes Bild vom Herbst des Mittelalters. Was hingegen fehlt: Bauern, Tagelöhner, Leidende und Schwache – eigentlich genau diejenigen, denen Jesus das Himmelsreich in Aussicht gestellt hat. Rechts schwenkt ein eifriger Engel eine Lilie über die Geretteten, auch dieses Motiv ist eine Besonderheit dieses Ölgemäldes, denn eigentlich ist die von einem Engel präsentierte Lilie ein Symbol einer Maria Immaculata-Darstellung.
Eberhard Lutze, Eberhard Wiegand: Kataloge des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. Die Gemälde des 13. bis 16. Jahrhunderts. Text- und Bildband, Leipzig 1936/37.
Christiane Lukatis: Ein verlorenes Weltgerichtsretabel aus dem künstlerischen Umfeld des Jan van Eyck? Mit einem Tafelbild des Germanischen Nationalmuseums auf Spurensuche, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, 1992, S. 175-193.
Hans-Georg Gradl (Hrsg.): Am Ende der Tage. Apokalyptische Bilder in Bibel, Kunst, Musik und Literatur, Regensburg 2011.