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Stadtvisionen von Nicholas Roerich (1874-1947) (Anfang 20. Jh.)

Im frühen zwanzigsten Jahrhundert erscheinen in den Werken des russischen Malers Nicholas Roerich (1874-1947) symbolische Bilder der himmlischen Stadt. Am bekanntest war sicherlich die Wandmalerei „Königin des Himmels“, ein Fresko mit Himmelsarchitektur über den Apsisfenstern in der Kirche des Heiligen Geistes der russische Künstlerkolonie Talaschkino. Entstanden ist diese Arbeit 1912, wenige Jahre vor der Emigration des Malers nach London, doch sie wurde unter Stalin vernichtet. Andere Arbeiten haben sich erhalten. Ein erstes Beispiel von 1905 ist das Bild „Engelsschatz“ (366 x 315 cm), an dem Roerich von 1904 bis 1905 arbeitete und es 1909 erstmals ausstellte. Darauf sieht man zahlreiche Engel, die den Schatz, das Himmlische Jerusalem, bewachen. Die Stadt zieht sich an den sanften Hügeln des Hintergrunds entlang, rechts befindet sich der Eingang, gestaltet als orthodoxe Kirche.

 

1916 folgte die Zeichnung „Weiße Stadt“ mit einer ähnlichen Grundidee: Ein Engel tritt schützend vor das Himmlische Jerusalem, das seine orthodoxe Gestaltung (Zwiebelkuppeln) an der Architektur erkennen lässt. Der vordere Bau ist ein Vorposten, die eigentliche Stadt zieht sich auf dem Berg im Hintergrund von links nach rechts.

 

Die letzte Arbeit zum Thema wurde 1920 unter dem Titel „Wächter“ vorgelegt. Die quadratische Ölmalerei ist stilistisch wie thematisch an Ikonenmalerei angelehnt. Jerusalems Eingang wird von einem Engel bewacht, gleichzeitig von zwei Drachen bedroht. Diese sieht man kaum, da sie die gleiche Farbe wie die rote Stadtmauer haben. Hinter der Mauer ist die runde Stadt angefüllt mit zahlreichen Bauten und einer orthodoxen Kirche in der Mitte. Die Bewohner der Stadt befinden sich über ihr, wo Heilige auf einer breiten Wolke versammelt sind.

William Ritter: Artisti contemporanei: Nicolas Roerich, in: Emporium, 31, 1910, S. 163-178.
Jacqueline Decter: Nicholas Roerich. Leben und Werk eines russischen Meisters, Basel 1989.
Nicholas Roerich. From the collection of the International Centre of the Roerichs, Moscow, Aschau 1997.
Andrew Tomas: Nikolaus Roerich. Künstler und Lehrer, Aschau 1999. 

 

Zum Künstler:

Nicholas Roerich (1874-1947) war Maler, Archäologe, Reisender und Philosoph. Er initiierte den Roerich-Pakt, einen Vorläufer der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, und wurde mehrfach für den Nobelpreis nominiert. In frühen Jahren gründete er gemeinsam mit seiner Ehefrau Helena Roerich die theosophische Vereinigung Agni Yoga (Lebendige Ethik). In St. Petersburg studierte Roerich Rechtswissenschaft sowie Kunst und war in Künstlerkreisen schon in frühen Jahren erfolgreich. Sein Erstlingswerk erregte Aufsehen und wurde von dem einflussreichen Sammler Tretjakow erworben. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er im Jahr 1913 bekannt, als er an Igor Fjodorowitsch Strawinskis Ballett „Le Sacre du Printemps“ als Librettist mitarbeitete. 1917 emigrierte die Familie Roerich nach London und dann in die USA. 1921 gründete Roerich dort das New Yorker Master Institute of United Arts. 1923 gelangte er nach Indien, Tibet, China, Sibirien und in die Mongolei. Roerich fand in der Ortschaft Naggar im Kullu-Tal (Himachal Pradesh) eine zweite Heimat, wo er sich auch mit dem Buddhismus beschäftigte.
Trotz der Weite seines Denkens und künstlerischen Interesses war Roerich tief in der orthodoxen Kunst verwurzelt. Seine drei Werke zum Himmlischen Jerusalem machen dies ebenso deutlich wie seine Marien-Darstellungen.

 

tags: Orthodoxie, Ikone, Wächterengel, Engel, Russland, Zeichnung
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