In den Jahren von 1983 bis 1987 entstand in der Schweiz ein dreiteilige Flügelaltar. Es war nicht, wie viele Jahrhunderte früher, eine Auftragsarbeit einer Kirche, sondern die Eigeninitiative einer Künstlerin: Johanna Regula Johanni (geb. 1946) kam in dieser Zeit mit Fabrikarbeitern und deren verschiedenen Lebenskonzepten in Berührung. Als das Kunstwerk fertiggestellt war, eröffnete die Künstlerin ihre Malwerkstatt in Oetwil am See in der Schweiz. Das Triptychon ist auch eine Antwort auf ihre damalige biographische Suche und ihre Entscheidung, Künstlerin zu werden. Es hat im geöffneten Zustand eine Länge von 6,5 Meter und eine Höhe von 1,3 Meter. Die Ölmalerei auf Gipsgrund ist auf den beiden Außenseiten zum Teil mit Pastellkreide ergänzt.
Das Triptychon zeigt drei verschiedene Wege, wie die Menschheit versucht, das Zusammenleben zu regeln und individuelles Glück zu ermöglichen. Der Außenflügel zeigt links das Gesetz, der Außenflügel rechts die Selbsterlösung und die Innenseite zeigt die Gnade. Das Himmlische Jerusalem, um das es hier ausschließlich geht, ist Teil der Innenseite und somit nur im geöffneten Zustand des Triptychons zu sehen. Weil nach Johanni allein der Weg der Gnade, welche die Frucht der Liebe sei, zur Erfüllung führt, ist der innere Teil mit der ganzen Farbenpracht des Regenbogens gemalt.
Die Arbeit ist eingebettet in Johannis Verständnis von „konstrakter Kunst“, die aus drei Teilen besteht: 1. Sie erkennt an, dass der Mensch nicht nur aus Geist besteht. 2. Abstraktion ermöglicht die Konzentration auf das Wesentliche. 3. Sie verpflichtet sich, auf Wertumkehrungen zu verzichten. Bei der Interpretation hilft eine Beschreibung, die die Künstlerin selbst gegeben hat: Die Spirale (vgl. die Herz-Jesu-Kirche in Selb), die bei einer Eule (hier nicht zu sehen) ihren Anfang nimmt, endet in einem roten Punkt im Zentrum der Stadt: Der Weisheit letzter Schluss ist Gott, Gott bei den Menschen. Die Neue Stadt, umfangen vom Omega, Gottes Ziel seiner Schöpfung, hat alle rotfarbenen Tore offen, die Mauern trennen nicht mehr. Über den offenen Toren wachen zwölf weiße Engelsfiguren. Gott hat von seiner Schöpfung Besitz ergriffen, seine Kraft, sein Licht, seine Wärme strahlen aus, ins Unendliche. Menschen aller Nationen, reich und arm, jung und alt, bringen ihre Gaben, erkennen und anerkennen seine Größe. Diese gelangen über zwei Strahlen von rechts unten in die Stadt, die im bereits erwähnten roten Punkt ihren Ausgang nehmen. Die Menschen pflücken die Blätter der Bäume zur Heilung der Völker, sie trinken vom Wasser des Lebens, umsonst. Eucharistiesymbole wie Brot und Wein, die Ähren (links) und der Weinstock (rechts), die drei Weisen aus dem Morgenland im Bild unten rechts, sie alle stellen auch eine Verbindung zum Leben von Jesus Christus her, sind aber auch in der Jerusalemsikonographie fest verankert.
Beitragsbild: R. J. Johanni