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Paul Mersmann (1929-2017): Apokalypsezyklus (2010)

Der Künstler Paul Mersmann (1929-2017) gestaltete Illustrationen zu den Büchern Genesis, Exodus, Ruth und einen Apokalypsezyklus. Die insgesamt 62 Bilder zur Apokalypse, die der Künstler im Alter von 80 Jahren zwischen 2009 und 2010 geschaffen hat, markieren eine neue, von herkömmlichen Konventionen oder kirchlichen Vorbildern unabhängige, eigene Schau der Johannesoffenbarung. Die biblischen Visionen erscheinen wie erneut geschaut und angereichert mit eigenen autobiographisch geprägten Texten, mit Figuren und Gestalten, welche sich einem Menschen, der das 20. Jahrhundert in Europa durchlebt hat, aufdrängen. Kurz gesagt, wird Gott als Demiurg gesehen und gegen die Welt der freien Künstler verteidigt. Nicht weniger als sieben Wasserfarbzeichnungen präsentieren in unterschiedlicher Weise die Stadt des Neuen Jerusalem, drei Zeichnungen zu Kapitel 21 und vier zu Kapitel 22 der Johannesoffenbarung. Jede dieser Zeichnungen ist handschriftlich signiert, auf 2010 datiert und mit einem Stempelchen des Künstlers legitimiert.


Im Zentrum zu Kapitel 21 Vers 1 steht eine große Figur, mit einem verzierten Kleid und einer Mitra ausgestattet. Die Figur erhebt beschwörend beide Hände. Zu beiden Seiten ist Architektur dargestellt: Links geht die alte Schöpfung in Flammen unter. Rechts hingegen findet sich die neue Schöpfung in Gestalt des Neuen Jerusalem. Über der unteren Stadt (auf einem Schubkarren!) erscheint eine weibliche Gestalt, die mit dem Schutzmantelmotiv die Bauten der Stadt liebevoll mit ihren Händen umfängt.

Nach einer handschriftlichen Beschreibung des Künstlers unter diesem Blatt (hier nicht wiedergegeben) werden die endzeitlichen Ereignisse wie bei einem Theaterstück von einem Demiurg auf die Bühne gebracht. Daher wurden die beiden Städte auch auf Fahrgestelle gepackt, so dass sie Requisiten einer Theatervorführung ähneln. Ganz vorne finden sich einige antike Architekturfragmente: dies ist traditionell ein Verweis auf die Vergänglichkeit und im Rahmen der Apokalypse ein Hinweis auf den Untergang alles menschlichen Schaffens. Zuletzt soll noch auf Tiere verwiesen werden, mit denen Mersmann auch andere seiner Bibel-Illustrationen belebt. Hier sind es ein blauer Vogel direkt über der Hauptperson, und ein Reittier an der linken Seite über dem Untergang, wo es so aussieht, als würde es diesem Tier noch gelingen, die rettende Seite zu erreichen.

Die Illustration der Stadt zu Kapitel 21, Vers 7-8 soll sie als Kunstwerk der Steinmetze, Goldschmiede, Dichter und Architekten zeigen, so führt Mersmann aus: „Man sieht, Gott arbeitet mit allen Mitteln“. Gezeigt wird eine märchenhafte, helle und freundliche Stadt, auf deren Außenmauern (die die Bewohner nicht sehen können) große Edelsteine aufgesetzt sind. Auch einige der Bauten sind mit Edelsteinen geschmückt. Vor der Stadt fliehen einige Künstler, die, so Mersmann, von dem rachsüchtigen Demiurgen (Gott) verfolgt werden. Die weiteren Stadtdarstellungen zeigen 3. das Lamm Gottes in einem labyrinthischen Jerusalem, 4. der aus der Stadt fliesende Lebensstrom, dann 5. einer der 4.000 göttlichen Leuchter in der Stadt, dann 6. die Stadtmauern und ein Tor von außen und schließlich 7. das große Finale: Christus und seine Braut (Kap. 22, Vers 16-17).

Hier thronen zwei Figuren, die von Bauten im Hintergrund gerahmt sind. Es sind links Christus und rechts die Braut des Lammes, die gemeinhin als Personifikation der Kirche gedeutet wurde, aus der Schwierigkeit heraus, dass Christus nicht verheiratet war. Von hier aus werden die Menschen geistig gespeist. Auf den surrealistischen Bauten kann man auch das Alpha und Omega finden, und einen Stern als Logo der neuen Stadt.
Der Londoner Buchbinder Roger Green (geb. 1959), der seine Werkstatt in Wuppertal führt, hat die Unikate dieser Serie in einem kunstvollen Einband gebunden. Die Originalbilder wurden einst von dem Sammler Jäger in Auftrag gegeben. Im Laufe der Jahre entstanden mehrere Buchprojekte mit Mersmann, so dass der Sammler der wichtigste Förderer und Unterstützer des ansonsten zurückgezogenen Künstlers wurde. Mersmann, der sich auch Paulus Homomaris (dt. Me(e)rsmann), nannte, lebte und arbeitete in Lichtel. Er wurde 1929 in Berlin-Dahlem geboren und trat als Maler von Wandbildern, Bildhauer und Schriftsteller hervor, nach eigener Einschätzung sieht er sich in der Tradition der Surrealisten. Die meisten seiner Illustrationen schuf Mersmann zu Texten anderer Autoren, nur zu dieser Apokalypseausgabe, zu einer Interpretation des Buches Daniel und zu einer Interpretation der Genesis stammen der Text und die Bilder ausschließlich von Mersmann. Die Apokalypse war sein letzter künstlerischer Höhepunkt und sein Vermächtnis, anschließend baute er gesundheitlich ab.

Steffen Dietzsch (Hrsg.): Paul Mersmann – Diffusion der Moderne, Heidelberg 2008.
Ulrich Schödlbauer: Paul Mersmann: Werkverzeichnis, Hagen, um 2010.

 

tags: Apokalypsezyklus, Bühne, Theater, Schutzmantel, Vogel, Pferd, Braut
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