
John Frederick C. Michell (1933-2009) war und ist eine Kultfigur einst in der Hippiebewegung und bis zu seinem Tode in esoterischen Kreisen im Umfeld des New Age. Michells Ruhm gründet auf seinem Erfolgsroman „The View over Atlantis“, der 1969 erschienen ist. Schon in diesem Buch beschäftigte er sich mit übersinnlichen Phänomenen. Später setzte er sich immer mehr mit Geomantie, Zahlenmystik und geheiligten Stätten auseinander. Erste Ergebnisse diesbezüglich legte er mit „City of Revelation“ 1972 vor. Später kamen graphische Ausarbeitungen hinzu, wie „Heavenly City“, die Michell als höchste aller Formen ansah (neben dem Lebensbaum, siehe unten). Bei dem Gebilde dominieren Kreisformen: In einen Hauptkreis sind an dessen inneren Rand zahlreiche kleine Kreise in weißer Farbe gesetzt, welche an die Perlen der Stadt erinnern. Weiter innen reihen sich konzentrisch zwölf Farbkreise aneinander, nach folgender Teilung: drei blaue Kreise im Westen, drei gelbe Kreise im Osten, drei grüne Kreise im Süden und drei rote Kreise im Norden. Diese zwölf Kreise in Anlehnung an die Edelsteine als Fundament der Stadt umziehen den grünlichen Hauptkreis im Zentrum.
Auch Kunsttheorie wurde Michell immer wichtiger; er wurde selbst künstlerisch aktiv und näherte sich über mehrere Entwürfe („Konstruktionen“ genannt) seinem idealen Grundmuster der „höchsten Form“ an. Hierbei wurde das Neue Jerusalem als Verknüpfung seiner beiden Interessen – übersinnliche Phänomene und geheiligte Stätten – häufig thematisiert. Das dokumentieren eine Vielzahl seiner Buchveröffentlichungen, genannt seien „The Dimensions of Paradise“ (1988), „The Temple at Jerusalem: A Relevation“ (2000) und „Dimensions of Paradise: Sacred geometry, ancient science and the heavenly order on earth“ (2008). Dabei ist „The Dimensions of Paradise“, in dem die Symbole der kosmologischen Lehre erklärt werden, eine Weiterentwicklung von „City of Revelation“. Eine Publikation „Heavenly Jerusalem“ war, wie Michell mir 2002 mitteilte, in Planung, kam aber nicht mehr zur Ausführung, die hiesigen Illustrationen sollten darin enthalten sein. Im Laufe der Jahre waren von Michell mit Hilfe des „Cyberarchitekten“ Yitzhak Hayut-Man (1943-2021), der selbst eigene Kunstwerke zum Thema vorlegte, mehrere Kopien zum Thema Himmlisches Jerusalem entstanden, die nach einem Grundmuster am Computer in immer neuen Formen und Farben reproduziert wurden. Die Ausdrucke wurden mit folgenden Worten vertrieben: „These pictures are instances of insights from John’s long and ongoing quest for patterns of reconciliation between different number systems, representing basic principles of the universe and of the human psyche.“ Michell selbst präzisierte 1998: „Die kosmologische Grundfiguren Jerusalems sind im Prinzip Bausteine unserer Verwirklichung einer höheren Bestimmung, wie Johannes (auf Patmos) sie erlebte, wie Leonardo (da Vinci) sie erlebte und viele andere. Immer werden dabei äußere mit inneren Zuständen in Einklang gebracht. Ist Jerusalem dabei ein besonderer Ort? Ich denke nicht, sondern es ist die Energie Jerusalems, die in einer bestimmten Form erscheint, wie ich es versuche, in diesen Arbeiten zum Ausdruck zu bringen. Nein, nicht ich bringe es zum Ausdruck, sondern es ist eine Energie, die der Betrachter fühlen kann, wenn er sich diesem öffnet“.
John Michells und Yitzhak Hayut-Mans „New Jerusalem Diagrams“ basieren auf einem Grundmuster und mehrschichtigen Aufbau, dessen Genese hier (oben) zunächst mit Hilfe der handschriftlichen Aufzeichnungen wiedergegeben ist. Das Ganze ist aus Kreis und Quadrat aufgebaut, im Uhrzeigersinn: 1. Magischer Rundtisch, 2. Siebenäugiger Stern, 3. Teppich und 4. Gitternetz. Auffällig sind die neonartigen kräftigen Farben, die Yitzhak Hayut-Man bevorzugte.
Aus Kreis und Quadrat können im Prinzip unendlich viele Varianten gezogen werden, die Eiskristalle in ihrer Vielfalt wären laut Michell ein Beleg dafür. Ein menschliches Beispiel für zwei mögliche Farbkombination ist das Grundmuster des „New Jerusalem Magical Circle“ (links) und die komplexere Füllung des „New Jerusalem Magical Circle“ (rechts).
Aus diesem Muster wurden dann die zwei „höchsten Formen“ entwickelt: Zunächst war dies „Heavenly City“ (siehe oben), dann aber auch der Lebensbaum, der „New Jerusalem Tree of Life“. Hier haben die beiden Künstler den Versuch unternommen, aus den Formen Kreis und Quadrat eine baumähnliche oder baumartige Form zu entwickeln. Im Ergebnis entstand ein Werk, das moderner serieller Kunst alle Ehre macht.
Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes erfolgte zwischen 2002 und 2006 durch Michael S. Schneider. Er war mit John Michell befreundet; sein „New Jerusalem Diagram“ ist eine Wasserfarbzeichnung, welche auf kosmischen Proportionen beruhen soll (daher wohl auch die Gestirne auf blauem Untergrund, die etwas an Uwe Fossemers Planeten auf Glasmalereien erinnert). Geometrische Grundformen, vor allem Kreis und Quadrat, strukturieren einmal mehr auch diese Arbeit in der Tradition Michells, verfolgt aber weichere Umrisszeichnungen, verleugnet nicht seine Handwerklichkeit und ist eine Abkehr von den „perfekten“ Computerbildern.
Ein letzter Beitrag zu „The Heavenly City“ in dieser spirituellen Tradition stammt von dem Briten Robert „Rob“ Burton (ca. 2010), der, nach einem Studium der Mode und Textilien am Liverpool Polytechnikum und einen Masterstudium in Textildesign, Textilkunst und Design (1989) an der Heriot Watt University in Edinburgh lehrte. Bevorzugt werden von ihm Themen wie Erinnerung, Verlust und Transformation durch gemischte Medien, Stoffe und Druckgrafik untersucht, wobei er oft gefundene Objekte verwendet, die mit Innovationen in analogen Techniken und digitalen Technologien kombiniert werden. Von daher lag es nahe, sich thematisch mit Jerusalem als kollektivem Erinnerungsort auseinanderzusetzen und auf Michells geometrische Muster zurückzukommen. Sein Neues Jerusalem entstand als Hommage an den Künstler Michell. Die Stadt als komplexes Symbolbild ist hinter den blau-weißen Wolken kaum zu erkennen. Sie besteht aus einem gelben Davidstern, einem inneren lila Kreis ohne Füllung und einer rosafarbenen äußeren Scheibe, als Elemente, die zu einer einheitlichen geometrischen Figur verbunden sind.