Russische Weltgerichtsikone (um 1820)

Diese Ikone aus Zentralrussland hat das Weltgericht zum Thema, mit einem klassischen Aufbau, der für die Ostkirche typisch ist und sich als Kanon über Jahrhunderte herausgebildet hat: Der gesamte untere Abschluss zeigt Höllendarstellungen, Monster und eine gewaltige Schlange, die sich bis zur Mitte der Ikone windet. Links ist das alttestamentarische Paradies dargestellt, einschließlich der Paradiespforte, rechts die Hölle. Das obere Drittel der Ikone, welches hier zu sehen ist, ist der himmlischen Sphäre vorbehalten. Dort ist das Himmlische Jerusalem mit sechs Arkaden an der linken oberen Ecke eingefügt. Sie bilden eine untere und eine obere Reihe aus jeweils drei Arkaden (Typus Arkadenjerusalem). Sie alle haben eine ockergelbe Färbung, welche an den Goldton des übrigen Bildes angelehnt ist. Ihre Umfassung ist annähernd fünfeckig. In ihnen sind wahlweise zwei bis fünf Heilige versammelt. Diejenigen der drei unteren Arkaden sind an Tischen versammelt, wo sie sitzend das ewige Abendmahl feiern. Darunter sind weitere, größer aufgemalte Heilige in langen Reihen zusammengekommen, angeführt von Maria (links) und Johannes dem Täufer (rechts). Diese Reihen sind jedoch nicht auf Jerusalem hin ausgerichtet, sondern auf die zentrale Christusfigur, die als König auf einem Thron präsentiert wird.

Von der Ikone ist ansonsten wenig Konkretes, wie Auftraggeber, Künstler oder Standort, bekannt. Das Werk ist insgesamt lediglich 80 x 65 Zentimeter groß. Es wurde in Zentralrussland um das Jahr 1820 angefertigt, möglicherweise zum Zwecke der Privatandacht eines Adeligen oder Geistlichen. Einflüsse einer byzantinistischen Tradition konnten nachgewiesen werden. Später verließ die Ikone Russland, gelangte in eine Privatsammlung und stand 2014 für 35.000 Euro zum Verkauf an.

Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).

 

tags: Weltgericht, Zentralrussland, Arkadenjerusalem, Privatandacht, Auktion
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