MS 98 in scrin.: 87: Hamburger Apokalypse (1300-1325)

Vor einem kleinen, verschlossenen Tor mit filigranem Beschlagwerk erhebt sich, in heller blauer Farbe, die Mauer der Gottesstadt. Über der Mauerkante sind fünf verschiedene mittelalterlich geprägte Bauten aus dem Stadtinneren wie an einer Perlenschnur aneinander gereiht, breite Türme außen, Sakral- und Wohnbauten. Der schlanke Turm mit Zeltdach steht für die abendländische Kirche, der Kuppelbau für die Grabeskirche in Jerusalem. Abwechselnd sind sie in roter und gelber Farbe gehalten. Diese Konzeption ist weniger von zeitgenössischen Miniaturen entliehen, sondern findet sich auf Portalen, etwa an der Fassade von Notre Dame in Paris. Über der im freien Raum schwebenden Stadt steht links in einem farbigem Gewand Johannes der Seher und deutet auf Christus. Dieser erscheint über einem mehrfarbigen Strahlenkranz, eine Vermengung von Regenbogen und Mandorla, vor Goldhintergrund über der Stadt.

Unter diesem Miniaturausschnitt befindet sich eine Darstellung der Szene der „Rede Gottes“ (Johannesoffenbarung Kap. 21, Vers 5-6). Diese „Rede Gottes“ findet sich auch in der Trinity-Apokalypse, wie überhaupt die Hamburger Apokalypse (Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, fol. 55 aus Hs. Cod. MS 98 in scrin.: 87) mit den englischen Ausgaben der Johannesoffenbarung aus dem 13. Jahrhundert in enger Verbindung steht.
Dieses spätgotische Exemplar entstand aber im mitteldeutschen Raum, vermutlich in einer Klosterwerkstatt der Benediktiner. Der heutige Name „Hamburger Apokalypse“ deutet also auf den Aufbewahrungsort, nicht auf die Herkunft der Handschrift. Mit einer geschätzten Entstehungszeit im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts ist es eine der ältesten bebilderten Apokalypse-Handschriften, die sich im deutschsprachigen Raum erhalten hat.

Der Band wartet mit einer zweiten Miniatur zum Himmlischen Jerusalem auf, auf fol. 57. Es ist bereits die abschließende, letzte Miniaturseite dieses Werkes. Johannes kennen wir bereits von der vorherigen Miniatur, er hat sich wenig verändert. Begleitet wird er jetzt von einem Engel, der mit einem Rohr als Maßstab die Stadt rechts vermisst. Ihr Aufbau ist ähnlich: eine Sockelzone mit aufgemaltem Mauerwerk, darüber fünf unterschiedliche Bauwerke. Das Besondere sind hier vier vergoldete Tore an der Schauseite der Mauer, nicht drei, wie in der Johannesoffenbarung beschrieben und wie es sich in der Tradition herausgebildet hat. Die vergoldeten Flügel sind nicht etwa beschrieben, sondern mit Beschlagwerk ausgestattet. Unter den Pforten sind die Edelsteine, etwa ein Saphir, verzeichnet.

Die Hamburger Apokalypse, in: Gertrud Schiller: Die Apokalypse des Johannes, Gütersloh 1991, S. 232-235.
Claus Bernet: Das Himmlische Jerusalem in Deutschland, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 27).

 

tags: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Rede Gottes, Mitteldeutschland, Gotik, Mittelalter
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