MS B.10.2: Apokalypsehandschrift (um 1310)

Die Miniaturen der Westminster-Handschrift MS B. 10.2 des Cambridger Trinity Colleges (fol. 36v, 37r und 37v) sind von großer Schönheit und stehen außerhalb der gängigen Bildtradition der englischen Apokalypsen zu diesem Thema. Das gilt auch für die bevorzugten Farben Rosa und Türkis. Das wird besonders auf fol. 37v deutlich. Die Stadt zeigt sich als halboffenes, ummauertes Blumenbeet, aus dem mehrere Kakteen oder Sukkulente mit kleinen Blüten wachsen. Das Beet wird vom Lebensfluss gespeist, der aus der darüberstehenden Mandorla fließt. Wie schon im vorherigen Bild betrachtet Johannes die Szene aufmerksam, und auf der gegenüberliegenden Seite sind inzwischen weitere Adoranten hinzugetreten, die der Erscheinung erregt ihre Hände entgegen strecken.
Auch die Zeichnungen auf der Seite zuvor, fol. 36v und 37r, sind bemerkenswert: Auf fol. 36v setzt ein Engel mit beiden Händen gerade das neue Jerusalem ab. Es ist ein kleines Kirchlein, das wackelig auf einem winzigen Fundament ruht, welches sogar nach innen einkragt. Die vor- und rückspringende Stützmauer an der rechten Seite ist ein Kunstwerk in sich. Fol. 37v zeigt eine Stadt, bei welcher sich über einer gebogenen, runden Stadtmauer drei Türme erheben. Es sind zwei schmale und dazwischen ein breiter Turm mit einer gedrungenen Zwiebelhaube. In Anlehnungen an Moscheen atmet diese Szene orientalischen Geist und ist in der mittelalterlichen Darstellung der Gottesstadt einzigartig, vielleicht war sie von Pilgerberichten aus dem historischen Jerusalem und seiner Grabeskirche inspiriert. Die hauptsächliche Inspiration war aber die enorme Fantasie des Miniaturmalers, der Konventionen sprengte.
Im 14. Jahrhundert hatte sich bereits die Tradition entwickelt, Miniaturen des Himmlischen Jerusalem in Blau und Rot zu präsentieren, wie überhaupt diese beiden Farben die Stadt markierten, auch auf Wandmalereien oder auf Ölgemälden. Hier jedoch herrscht eine ganz andere Farbkombination vor: Türkis, Rosa und Königsblau. Nicht allein die Rahmen sind in dieser Färbung gefasst, sondern auch Details der drei Miniaturen, wie Engelsflügel, die Türme der Stadt oder die Bekleidung der Figuren. Ein Engel im rosafarbenen Rock: Man wird lange nach einer mittelalterlichen Miniatur suchen, die das bietet. 

Neil Ripley Ker: Medieval libraries of Great Britain, London 1964 (Royal Historical Society Guides and Handbooks, 3).
Lucy Freeman Sandler: Gothic manuscripts 1285-1385, London 1986.
Claus Bernet: Gotik, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 30).

 

Beitragsbild: Cambridger Trinity College

tags: Cambridge Trinity College, Blumen, Kaktus, Gotik, Mittelalter, Mosche, Türkis
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