MS Français 825: Guillaume de Digullevilles „Pélerinage de la vie humaine“ (um 1420)

Der Manchester Ausgabe der John Rylands University Library (French MS 2) ist eine andere Ausgabe der Pélerinage ähnlich, die vermutlich in Frankreich um 1420 entstanden ist. Die Handschrift befindet sich heute in der Französischen Nationalbibliothek zu Paris (Signatur MS Français 825), zusammen mit einem weiteren Text: „Les Enseignements damoiselle Christine“ („Die Lektionen von Lady Christine“).

Es ist die einzige der erhaltenen Ausgaben, die auf fol. 1v das Neue Jerusalem auf einem kleinen Handspiegel zeigt, den der Pilger wie einen Kompass vor sich hält. Unbeirrt, geradezu verbissen, klammert er sich an dieses Hoffnungsbild. Ihm gegenüber erscheint eine mächtige Himmelspforte, die größer als der restliche zu sehende Stadtbau ist, bewacht von einem Engel mit Flammenschwert.

 

Zwei weitere Miniaturen, beide auf fol. 2v, zeigen erst eine Gruppe Nackter vor dem Heiligen Petrus. Der Miniaturist hat eine Vorliebe für originelle Einfälle, hier zeigt er nicht, wie alle anderen Ausgaben des Pilgerromans, einen Schlüssel, sondern an einer Stange einen ganzen Schlüsselbund. Der Pilger links beobachtet diese Szene, er ist in der um 1400 traditionell üblichen Pilgertracht gekleidet.

 

Dann folgt die erste Miniatur mit einer Szene, in der sich ein geflügelter Mönch Zugang verschaffen möchte, in dem er wie ein Vogel die Mauern überfliegt. Man beachte die ineinander geschobene Dachlandschaft, die meisterlich gearbeitet ist und Kenntnis für Proportion und Harmonie beweist. Außergewöhnlich sind auch die kostbaren Gewänder der Geistlichen, hier tragen sogar die Mönche einen Pelz aus Hermelin – anscheinend gilt das Armutsgelübde im Himmlischen Jerusalem nicht mehr.

 

Das Thema des illegalen Stadtzugangs setzt sich auf fol. 3r fort, wo Leiter und Kordel beim Zutritt behilflich sind. Diese beiden Szenen sind in anderen Ausgaben der Pélerinage fast immer auf zwei Miniaturen verteilt, hier wurden sie in einem Bild zusammengefasst. Rechts sieht man eine Besonderheit bei der Stadtdarstellung: ein Bau, vermutlich ein Wehrgang, aus Fachwerk. Während solche Bauten ganz überwiegend das mittelalterliche Stadtbild prägten, wurde das Himmlische Jerusalem so gut wie immer mit steinernen Bauten dargestellt, was Wehrhaftigkeit und Beständigkeit vermitteln sollte.

825. Le pelerinage de vie humaine, in: Catalogue des manuscrits français, 1, Paris 1868, S. 91.
Frédéric Duval, Fabienne Pomel (Hrsg.): Guillaume de Digulleville: Les pèlerinages allégoriques, Rennes 2008.

 

tags: Französische Nationalbibliothek Frankreich, Gotik, Mittelalter, Spiegel, Kompass, Leiter, Seil, Kordel, Pelz, Mönche, Fachwerk
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