MS Français 377: Guillaume de Digullevilles „Pélerinage de la vie humaine“ (um 1395)

Es gibt mittelalterliche Darstellungen, die das Himmlische Jerusalem überraschend klein, kaum erkennbar wiedergeben. Bei der Ausgabe MS Français 377 der Französischen Nationalbibliothek in Paris ist dies der Fall. Bekannter ist vor allem die erste Miniatur auf fol. 1r, die die Hauptperson in ein Buch vertieft zeigt, während von ihr unbemerkt die heilige Stadt in einem Spiegel erscheint. Dort füllen die Türme und Dächer die Spiegelfläche vollständig aus. Im weiteren Verlauf des Romans präsentiert uns der Miniaturist die Stadt als Kirchlein, als Torszene oder als Burg. Man findet die Miniaturen neben fol. 1r noch auf 1v, 2r sowie noch drei Miniaturen auf fol. 2v.

Bemerkenswert ist, dass fol. 1v erneut die Vision in einem Standspiegel zeigt. Diesmal erscheint die Stadt als Burg mit einer geschlossenen Pforte. Waren zuvor alle Dächer blau, so sind sie nun rot. Dem Spiegel gegenüber findet man den schlafenden Pilger in einem komfortabel wirkenden Bett. Diese Kombination kennt man auch von anderen Ausgaben der Pélerinage, während die Kombination von Spiegelerscheinung und lesendem Mönch (erste Miniatur) eher die Ausnahme darstellt. Neben fol. 1v zeigen auch folii 2r und fol. 2v die Stadt als blockartige Burg, zu der sich ein paar Mönche Zugang zu verschaffen suchen. Es beginnt mit dem Ausziehen der Bekleidung. Diese Szene findet sich hier am Beginn, steht aber ansonsten am Ende der Versuche, in die Stadt zu gelangen. Die sind hier des Weiteren mit Engelsflügeln, mit einer Leiter und schließlich mit einer Kordel.

Erwähnt werden müssen noch die beiden Miniaturen auf fol. 93v und 94r. Sie präsentieren letztmalig das Himmlische Jerusalem. Zunächst wird der Pilger noch vor der Stadt gezeigt, auf der folgenden Miniatur befindet er sich bereits darin hinter der Mauer. Beide Architekturdarstellungen zeigen deutlich stärkere Merkmale der Gotik als die Miniaturen zuvor; sie stammen von einer anderen Hand als die Abbildungen zu Beginn der Handschrift.
Diese Pélerinage entstand um das Jahr 1395 und ist damit die letzte einer ganzen Serie von Ausgaben zu Ende des 14. Jahrhunderts. Sie besticht durch ihr vergoldetes ornamentiertes Schachbrettmuster auf der Eingangsseite, während die Zeichnungen, vor allem auf der ersten Seite, beschädigt und schlecht erhalten sind.

377. Le Pelerinage de vie humaine, in: Bibliothèque impériale – Département des manuscrits. Catalogue des manuscrits français, 1, Paris 1868, S. 32.
Philippe Maupeu: Statut de l’image rhétorique et de l’image peinte dans le pèlerinage de vie humaine de Guillaume de Deguileville, in: Le Moyen Age, 3/4, 2008, S. 509-530.
Claus Bernet: Die Spiegelvision des Guillaume de Digulleville, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 35).

 

tags: Gotik, Mittelalter, Guillaume de Digulleville, Pélerinage, Französische Nationalbibliothek Paris, Torszene, Spiegel, Schaden
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