Das Chorgemälde von Santa Maria Donna Regina, einer imposanten Franziskanerkirche in Neapel, wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts von der Schule des Pietro Cavallini ausgeführt. Pietro Cavallini war ein italienischer Maler, der um 1250 in Rom geboren wurde und in seiner Geburtsstadt sowie in Neapel tätig war. Er führte Mosaiken im Stil der Kosmaten aus, einer Gruppe von Marmordekorateuren, und hielt sich bei seinen Fresken an die durch ein intensives Naturgefühl belebte byzantinische Manier. Ab 1308 war Cavallini im Dienste des Königs in Neapel tätig, bis er um 1330 im Rom verstarb.
Die Weltgerichtsdarstellung stammt mit Sicherheit von seiner Hand. Auf der linken, unteren Seite des Freskos endet ein langer Zug von Frommen beiderlei Geschlechts im Himmlischen Jerusalem, während auf der rechten Seite die Hölle dargestellt ist. Christus und Maria geleiten alle Lebensalter – Kinder, Erwachsene, Greise – zusammen zu einem Torbogen mit zinnenbekrönter Mauer. Auf der Schwelle des Tores thronen die drei Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, die jeweils drei gerettete Seelen auf ihrem Schoß halten. Hinter ihnen steht der Baum des Lebens, auf den bereits zwei Seelen hinaufgeklettert sind, und undeutlich kann man auch Zweige von Palmen in Hintergrund erkennen.
In Santa Maria Donna Regina befindet sich ein zweites Himmlisches Jerusalem. Es wurde etwa zwischen 1320 und 1330 angefertigt, also im Anschluss an das erste. Über viele Jahre lag es unter Putz verborgen und wurde erst 1864 wiederentdeckt und 1878 von dem Maler Francesco Autoriello freigelegt. Er behandelte die Fresken mit einer obskuren Wachslegierung und hat damit die Farben sowie Konturen unwiederbringlich ruiniert. Das Fresko wurde endgültig zum Fragment, nachdem „Restaurierungen“ 1928 und bereits erneut 1934 den Zustand nur noch verschlimmbesserten. Vermutlich schufen diese Fresken Schüler von Pietro Cavallini. Das Himmlische Jerusalem ist recht klein, nicht gut erhalten und findet sich über dem Eingangsbereich der Loffredokapelle. In der Szene, die zu einem größeren Apokalypsezyklus gehört, zeigt der Engel dem Johannes (in roter Tunika) das Tor zum Himmlischen Jerusalem. Auch hier befinden sich Personen unmittelbar im Eingangsbereich des Tores und versperren eigentlich den Weg. Dieser Apokalypsezyklus wurde, wenn auch nicht für die Repräsentation des Himmlischen Jerusalem sondern aus anderen Gründen, in seiner Gesamtheit zum Vorbild für die Erbach’schen Tafeln, die nur zwanzig Jahre später angefertigt wurden.
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