
Sankt Gangolf in Oerel (15. Jh.) und Mogens Trane: Dorfkirche Vokslev (1740-1750)
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Claus Bernet
- Januar 3, 2022
Eine Freskenmalereien aus dem 15. Jahrhundert findet sich über dem Chor der evangelischen Kirche Sankt Gangolf in Oerel (Örel), einem Dorf in der Samtgemeinde Geestequelle im Landkreis Rotenburg (Wümme). Leider weiß man über die Geschichte und Ausstattung der Kirche bis heute recht wenig. Als die Malerei des Himmlischen Jerusalem in einer Gewölbekappe im Kreuzgewölbe angebracht wurde, war der Bau eine Wehrkirche, also eine kleine Burg, in der sich die wenigen Bewohner der Ortschaft bei Gefahr zurückziehen konnten. In solchen Situationen spendete das Bild der Gottesstadt Hoffnung und Zuversicht, und sicherlich hat die Festungssituation die Entscheidung mit beeinflusst, dieses Motiv hier sichtbar für alle anbringen zu lassen.
Die Stadtdarstellung zieht sich über eine Gewölbekappe des Chors von einer Kreuzrippe zur nächsten. Eine Schar Nackter, begleitet von mehreren Engeln, nähert sich dem Stadttor rechts. Einer der Geretteten durchschreitet gerade das Tor, andere befinden sich bereits hinter den Mauern. Zu den Seiten des Stadttors schrauben sich spitze Türme nach oben. Die Architektur der Bauten erinnert noch an die Gotik, vor allem bei den spitz zulaufenden Kegeldächern. Das gilt auch für einen zweiten markanten Bau an der linken Seite, der einem Schloss ähnelt. Zwischen den beiden Haupttürmen kniet auf einem Schachbrettmuster ein Adorant, über den der Maler ein Zweiflügelfenster gesetzt hat. Die intime Wohnzimmeratmosphäre ist für eine Jerusalemsdarstellung einzigartig.
Über Jerusalem ist ein einzelner Stern übrig geblieben – ursprünglich befanden sich über der Stadt noch weitere Sterne und vegetabiles Rankenornament, das entweder verloren ging oder nicht freigelegt wurde. Die braunrote Ochsenfarbe mit grünen Partien entspricht ganz der zeitgenössischen Wandmalerei Norddeutschlands und Skandinaviens – sie war kostengünstig und vor allem haltbar. Denn auch in Oerel verschwanden nach der Reformation die Malereien unter einem Weißanstrich, haben jedoch diese unfreiwillige Konservierung relativ unbeschadet überstanden.
Die Darstellungsweise der Kirche in Oerel wurde in einer dänischen Kirche zum Vorbild genommen. Im 17. Jahrhundert war Oerel Teil des Herzogtums Bremen, das zu Schweden gehörte und im 18. Jahrhundert ein Teil Dänemarks war. Durch diese territoriale Verbindungen wurde die Kirche zu Oerel auch in Jütland bekannt, vielleicht durch eine der häufigen lutherischen Kirchenvisitationen, die von Dänemark aus durchgeführt wurden. Die Nachahmung von 1740/50 findet man in dem Dorf Vokslev nahe dem Städtchen Nibe. Ausgeführt wurden die Kalkmalereien von dem Maler Mogens Trane aus Viborg, der Häuser und Paläste aus Jütland, unter anderem auch die Kathedrale von Viborg, hier verewigte. Ob die Stadtdarstellung im unteren Kreissegment als einzige fertig ausgemalt wurde, oder ob die anderen Gewölbekappen lediglich nicht vollständig freigelegt wurden, kann hier nicht entschieden werden. Fast sieht es so aus, als wollte man dem Betrachter vier unterschiedliche Stufen der Bildentstehung zeigen.
Rolf-Jürgen Grote, Kees van der Ploeg: Wandmalerei in Niedersachsen, Bremen und im Groningerland: Fenster in die Vergangenheit, hrsg. vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege und der Stichting Oude Groninger Kerken, 2 Bdd., München 2001.
Oerel a.d. Wümme, in: Sigrid Kupetz: 900 Jahre Wandmalereien, Gewölbemalereien und Brüstungsmalereien in deutschen Kirchen und Klöstern, Bad Karlshafen 2008, S. 488-491.