Eine Freskenmalereien aus dem 15. Jahrhundert findet sich über dem Chor der evangelischen Kirche Sankt Gangolf in Oerel (Örel), einem Dorf in der Samtgemeinde Geestequelle im Landkreis Rotenburg (Wümme). Leider weiß man über die Geschichte und Ausstattung dieser Kirche bis heute recht wenig. Als die Malerei des Himmlischen Jerusalem in einer Gewölbekappe im Kreuzgewölbe angebracht wurde, war der Bau eine Wehrkirche, also eine kleine Burg, in der sich die wenigen Bewohner der Ortschaft bei Gefahr zurückziehen konnten. In solchen Situationen spendete das Bild der Gottesstadt Hoffnung und Zuversicht, und sicherlich hat die Festungssituation die Entscheidung mit beeinflusst, dieses Motiv hier sichtbar für alle anbringen zu lassen.
Die Stadtdarstellung zieht sich über eine Gewölbekappe des Chors von einer Kreuzrippe weit bis zum Gewölbescheitel. Eine Schar Nackter, begleitet von mehreren Engeln, nähert sich dem Stadttor von rechts. Mit der Stadt und der Reihe Geretteten erscheint die Malerei von Oerel wie ein Kombination von Marklohe und Scholen.
In Oerel durchschreitet gerade einer der Geretteten das Tor, andere befinden sich bereits hinter den Mauern. Zu beiden Seiten des Stadttors schrauben sich spitze Türme nach oben. Die Architektur der Bauten erinnert noch an die Gotik, vor allem bei den spitz zulaufenden Kegeldächern. Das gilt auch für einen zweiten markanten Bau an der linken Seite, der einem Schloss ähnelt. Zwischen den beiden Haupttürmen kniet auf einem Schachbrettmuster ein Adorant, über den der Maler ein Zweiflügelfenster gesetzt hat. Diese intime Wohnzimmeratmosphäre ist für eine Jerusalemsdarstellung einzigartig.
Über Jerusalem ist ein einzelner Stern übrig geblieben – ursprünglich befanden sich über der Stadt noch weitere Sterne und vegetabiles Rankenornament, das entweder verloren ging oder nicht freigelegt wurde. Die braunrote Ochsenfarbe mit grünen Partien entspricht ganz der zeitgenössischen Wandmalerei Norddeutschlands und Skandinaviens – sie war kostengünstig und vor allem haltbar. Denn auch in Oerel verschwanden nach der Reformation die Malereien unter einem Weißanstrich, haben jedoch diese unfreiwillige Konservierung relativ unbeschadet durch die Jahrhunderte überstanden.
Rolf-Jürgen Grote, Kees van der Ploeg: Wandmalerei in Niedersachsen, Bremen und im Groningerland. Fenster in die Vergangenheit, hrsg. vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege und der Stichting Oude Groninger Kerken, München 2001.
Oerel a.d. Wümme, in: Sigrid Kupetz: 900 Jahre Wandmalereien, Gewölbemalereien und Brüstungsmalereien in deutschen Kirchen und Klöstern, Bad Karlshafen 2008, S. 488-491.