Colin Chadewe: MS Français 13096 (1313)

Die Auftraggeberin dieser Handschrift maß dem Himmlischen Jerusalem große Bedeutung bei, man findet es auf fünf einzelnen Miniaturen dargestellt. Trotz unterschiedlicher Perspektiven erzeugen gleiche Farbwahl, ähnliche Hintergrundgestaltung, die Rahmung sowie eine einheitliche Proportion dieser fünf Darstellungen einen harmonischen Klang.

Fol. 77 eröffnet den Reigen mit einer Stadt, die eigentlich aus zwei Türmen besteht und den Rahmen für die thronende Christusfigur dazwischen abgibt. Gleichzeitig erinnert die Art der Präsentation an mittelalterliche Tabernakel. An den Seitentürmen eröffnen zwei Engel mit Posaunen das Jüngste Gericht. Die Trennung in zwei Bereiche ist durch den blauen und den roten Hintergrund angedeutet.

Die Blätter 79, 80, 81 und 82 zeigen weitere Perspektiven der Stadt. Im Uhrzeigersinn zeigt zunächst fol. 79 eine Miniatur mit zwölf Toren, die sich an die Beatus-Apokalypsen, dann aber auch an Français 152 oder Français 155 anlehnt. Wirklich Neues bringt fol. 80: Die Torhäuser sind zu Dreiergruppen zusammengefügt, die eine Stadt ergeben. Bemerkenswert ist die auslaufende Prunktreppe davor – hier bekommt man einen Eindruck davon, wie fol. 91r und fol. 92r in MS Douce 180 bei Fertigstellung hätte aussehen können. Auf der nächsten Miniatur zeigt sich die Treppe als Edelsteinfundament. Es ist die znetrale Miniatur, die die Außenseiten der Stadt zeigt. Letztlich sind es drei Kompartimente (Edelsteine, Mauer- und Fensterwand), aus denen sich die Stadt zusammensetzt. Sie setzt in dieser Miniatur direkt am unteren Bildrand an und zieht sich bis an den oberen Rand durch das Bild. Diese Verdrängung des Hintergrunds ist auch den anderen Miniaturen zu Eigen. Die stattliche Serie von Jerusalemsdarstellungen endet mit fol. 82, die die Anbetung des Lammes in der Stadt zeigt. Es ist einer der ersten Miniaturen, die musizierende Engel zeigt. Das Thema der Himmelsmusik im Neuen Jerusalem sollte vor allem im 15. Jahrhundert ein großes Thema werden.
Die Handschrift MS Français 13096 aus der Französischen Nationalbibliothek in Paris ist im Jahr 1313 entstanden. Damals verstarb Kaiser Heinrich VII. bei Siena, was Zeitgenossen in ganz Europa als den Beginn der Endzeit interpretierten. Auftraggeberin war Isabella von Frankreich (1292-1358), eine französische Prinzessin und Königin von England. Ihrem Miniaturisten, Colin Chadewe, gelang mit dem Werk ein bedeutender Schritt hin zu einem mehr persönlichen Andachtsbuch für adelige Leser und Leserinnen. Hier waren Ideen und Ausgestaltungen gefragt, die nicht jeder Pfarrer in seinem Apokalypsehandschrift fand.

Suzanne Lewis: The Apocalypse of Isabella of France, in: The Art Bulletin, 72, 2, 1990, S. 224-260.
Alison Weir: Isabella – She-Wolf of France, Queen of England, London 2005.
Apocalypse 1313, Barcelona 2006. 

 

tags: Französische Nationalbibliothek Paris, Gotik, Mittelalter, England, Edelstein, Andachtsbuch
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