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Freskenmalerei in Visselhövede (1920)

1920 wurden in Visselhövede bei Rotenburg an der Wümme in der Lüneburger Heide spätmittelalterliche Malereien in der St. Johanniskirche freigelegt. Anhand von Vergleichen kann man diese Malereien mit ziemlicher Sicherheit in das späte 15. Jahrhundert datieren. Im westlichen Joch findet man eine große Weltgerichtsszene, die sich über drei Kappen über das Kreuzrippengewölbe zieht. Obwohl der Erhaltungszustand ausgesprochen gut war, wurden sie dem Zeitgeschmack um 1920 entsprechend übermalt. Beispielsweise sind die Engelsfigur links (Erzengel Gabriel mit dem Flammenschwert und zwei weitere Engel auf der gegenüberliegenden Seite) eindeutig ein Produkt des späten Jugendstils. Auch der kugelartige Dachschmuck, der sich zu beiden Seiten des Himmlischen Jerusalems befindet (Perlen?), dürfte kaum aus dem Mittelalter stammen. Bemerkenswert ist, dass die Schar der Geretteten, wie üblich, nackt dargestellt, das adelige Paar, das der Gruppe voranschreitet, bekleidet ist. Möglicherweise erschien dem Künstler ein nacktes Adelspaar als etwas zu gewagt, was nicht zwangsläufig auf mittelalterliche Befindlichkeiten deutet, sondern eher auf eine konservative Haltung nach dem Ersten Weltkrieg.

Ein konservativer Kunstgeschmack, gemischt aus Jugendstil, Art Deco und Neorenaissance, hat sich bekanntlich auf dem Lande länger gehalten, während eine Ausmalung im Stil des Bauhauses nach dem Ersten Weltkrieg in Kirchen kaum denkbar war. Bei Visselhövede handelt es sich zudem um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Jahre 1920 nach dem verlorenen Krieg, mit der vor allem Künstler wieder in Lohn und Brot gebracht werden sollten.

Klaus Heinzel (Hrsg.): Visselhövede. Chronik einer Stadt, Horb am Neckar 1999.
Visselhövede bei Rotenburg, in: Sigrid Kupetz: 900 Jahre Wandmalereien, Gewölbemalereien und Brüstungsmalereien in deutschen Kirchen und Klöstern, Bad Karlshafen 2008, S. 612-617.
Claus Bernet: Jugendstil, Secession, Art nouveau, Norderstedt 2013 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 7).

 

tags: Lüneburger Heide, NRW, Jugendstil, Rekonstruktion, Weltgericht, Engel, Schwert, Adel, nackt
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