Im Zentrum von Herne (nördliches Ruhrgebiet) am heutigen Europaplatz befindet sich die evangelische Kreuzkirche. Nach den schweren Kriegszerstörungen wurde der Backsteinbau glücklicherweise nicht abgerissen, sondern konnte gerettet werden. Zwischen den Jahren 1951 und 1953 wurden neue Fenster in farbigem Antikglas, Blei und Schwarzlot nach alten Entwürfen des Wiener Malers Rudolf Fuchs (1868-1918) geschaffen, die heute als Baudenkmal der frühen Nachkriegszeit gelten. Es ist eine absolute Rarität, dass man unmittelbar nach 1945 Glasfenster rekonstruierte – wenige Jahre später wäre das mit der zunehmenden Ablehnung historischer Bauformen in der Sakralkunst kaum mehr möglich gewesen.
Das dritte, zentrale Fenster des Chorraums zeigt oben in der neogotischen Rosette das Himmlische Jerusalem. An vier Seiten des Sechspasses ist die Stadt von Erlösten umgeben. Dieses Fenster wurde gleich zu Beginn des Wiederaufbaus, 1951, gestaltet. Fuchs zeigt uns eine Stadt im gotischen Stil, die sich ausschließlich aus konkreten Bauteilen zusammensetzt. Man erkennt oben ein Biforium, unten ein Tor, daran angesetzt eine gebogene Stadtmauer, rechts einen schmalen Turm. In das violette Tor unten scheint eine menschliche Figur einzutreten oder dort zu stehen. In den beiden unteren Feldern des Sechspasses hat der Künstler mit goldgelben und weißlichen Steinen das Edelsteinfundament der Stadt angedeutet.
Die Konzeption wie auch die dunklen Farben wie Braun, Ocker oder Türkis und die handwerkliche Ausführung orientieren sich an spätmittelalterlichen Vorbildern wie Mantes-la-Jolie in Gassicourt, und passen sehr gut zum Gesamtbild der neogotischen Kirche. Selbst Fachleute können allein anhand der Darstellung der Stadt nicht klären, ob dieses Fenster 1351 oder 1951 entstanden ist.
Auf eine weitere Besonderheit der Chorfenster wurde ich bei meinem Besuch hingewiesen: Bis auf drei Chorfenster sind alle weiteren neogotischen Fenster durch zwei oder sogar drei Bahnen geteilt, wie es der Tradition und Proportionslehre entspricht. Tatsächlich verlangt das üppige Maßwerk im oberen Drittel einen Ausgleich, der im Chor fehlt. Es gibt verschiedene Überlegungen dafür: Die stehenden Figuren der Glasmalerei wären durch das Maßwerk zerteilt und verunstaltet worden, so dass man vielleicht ihretwegen die vertikalen Bleiruten herausgenommen hat. Ebenso möglich ist auch, dass hier im Chor Kriegsbeschädigungen am Maßwerk nicht repariert wurden.
Friedrich Dransfeld: Geschichte der evangelischen Gemeinde Herne, Herne 1875.
Claus Bernet: Denkmalschutz, Denkmalpflege und UNESCO-Weltkulturerbe, Norderstedt 2020 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 47).