Die mehrteiligen Glasgemälde der evangelischen Stiftskirche St. Pankratius in Backnang nördlich von Stuttgart entstanden im Jahr 1929 inmitten wirtschaftlicher, politischer und letztlich auch religiöser Krisen. Dennoch konnte man sich für die Stiftskirche einen der kommenden Talente der Glasmalerei jener Zeit leisten, der seine eigentliche Karriere noch vor sich hatte: Rudolf Yelin (1902-1991) aus Reutlingen, der zu diesem Zeitpunkt als Student noch die Stuttgarter Kunstakademie besuchte. Zusammen mit der Heilig-Kreuz-Kirche in Nürtingen war es sein erster Auftrag für ein Kirchenfenster. Um den jungen Künstler von seinem Vater zu unterscheiden, wurde er auf der Signatur unten rechts als Ju. (Junior/Sohn) kenntlich gemacht. Des Weiteren ist dort zu entnehmen, dass die Glasmalerei von W. und A. Saile angefertigt wurde, die ihre Manufaktur in Stuttgart hatten. Yelin sollte noch viele Male mit dieser Manufaktur zusammenarbeiten.
Es ist hier das erste Mal, dass Yelin in seinem Schaffen das Himmlische Jerusalem darstellte. Dabei handelt es sich um einen eher traditionellen Entwurf, der ebenso vor dem Ersten Weltkrieg entstanden sein könnte. Im letzten, fünften Fenster des mittelalterlichen Chorraums befindet sich auf der rechten Seite der Reformator Martin Luther im Talar mit der Bibel in seinen Händen, ähnlich wie in Dassel Jahrhunderte zuvor, sogar die Bibel in seinen Händen wurde nicht vergessen. Er steht fest zwischen einer Orgel mit einem Schriftband des Namens von Johann Sebastian Bach und dem Wappen des protestantischen Herzogs Christoph von Württemberg. Dazwischen finden sich musizierende Engel (linke Seitenbahn), kluge und törichte Jungfrauen (rechte Seitenbahn) sowie im oberen Bereich die Bauten des Himmlischen Jerusalem in schillernden, hellen Farben. Hier zeigen sich Einflüsse des Bauhauses, wo die beliebten Bauklötzchen erfunden wurden, an die diese Stadtgestaltung etwas erinnert. Gerade dieses Fenster wirft auf die gegenüber liegende weiße Wand und den Fußboden farbige Lichtspiele. Vor allem am Morgen überrascht dieses Licht die Besucher und war ein wichtiges Argument, die Fenster letztlich zu erhalten, da die Stiftskirche sich ansonsten von vielen historischen Gegenständen getrennt hat und heute (2022) nüchtern, fast kahl und kalt wirkt.
Adolf Schahl: Die Stiftskirche St. Pankratius in Backnang, München 1976.
Bodo Cichy: Rudolf Yelin 1864-1940. Seine Zeit, sein Leben, sein Werk, Stuttgart 1987.
Bernhard Trefz, Eric Biller, Wolfgang Traub: Stiftskirche Backnang, ehemaliges Chorherrenstift St. Pankratius. Kleiner Kirchenführer, Backnang 2008.
Claus Bernet, Klaus-Peter Hertzsch: Martin Luther in seiner Zeit – und das Himmlische Jerusalem, Norderstedt 2016 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 40).