Ein spätgotisches Weltgericht aus dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck (Inventarnummer alt: Gem 85, neu: 000812) ist auf das Jahr 1504 datiert. Es handelt sich um eine Temperamalerei auf Holz von 183 x 141 Zentimeter. Gesichert ist ein Maler aus Hall, vermutlich ein Lorenz Weismann oder alternativ ein Marx Reichlich (um 1460-1520). In Hall war dieses Gemälde, bevor es in das Museum kam, im alten Rathaus der Stadt aufgestellt. Der Stadtrat von Hall hatte es 1504, zusammen mit einem weiteren Gemälde, für 33 Florentiner angekauft. Es mahnte alle an einem Prozess beteiligten als Gerichtsbild an die Folgen irdischen Handelns, im Guten wie im Schlechten.
Das Himmlische Jerusalem zieht sich auf dem Bild über die gesamte linke Seite. Im unteren Teil schließt Petrus eine schmale und hohe Pforte auf, die komplett in roter Farbe gehalten ist. Vor dieser Pforte drängen sich kirchliche und weltliche Würdenträger nach vorne. Der Figur des Kaisers wurden die Züge von Kaiser Maximilian I. (1459-1519) gegeben. Ein kniender Engel (Ecke links unten) bittet für die Sünden der Kirchenmänner. Im oberen Teil erscheint eine glatte Mauerung mit einfachen Fensteröffnungen, in denen Engel auf mittelalterlichen Instrumenten musizieren und im Chor singen. In diesem Fall sind auf einem Notenblatt sogar mittelalterliche Noten eingeschrieben, ein Beispiel für den extremen Realismus dieser Malerei. In Rücksprache mit einem Experten für mittelalterliche Musik soll es sich aber zwar um Noten in verschiedenen Werten handeln, wie sie noch im 16. Jahrhundert für die Mensuralnotation gebraucht wurden (Longae, Breves, Semibreves), aber so ganz in campo aperto ohne Linien, aus denen die Tonhöhe erschließbar wäre. Somit ergeben sie keinen musikalischen Sinn und gehören nicht zu einer mittelalterlichen Jerusalemsmusik.
Die massive, abweisende Architektur lässt ansonsten kaum Jerusalems-Assoziationen aufkommen, eher musste der zeitgenössische Betrachter an Burgen denken. Einziger Schmuck ist die vergoldete Maßwerkbekrönung der Pforte im Flamboyantstil.
Craig Harbison: The last judgment in sixteenth century northern Europe, New York 1976.
Inge Finger: Die Darstellung des Jüngsten Gerichts in Tirol, 2 Bdd., Innsbruck 1992.
Wolfgang Meighörner (Hrsg.): Kunstschätze des Mittelalters, Innsbruck 2011.
Claus Bernet: Neues Jerusalem in Österreich, der Schweiz und der Alpenregion. Ein Kunstreiseführer, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 18).