Maria Magdalena Hafenscheer (1892-1966): Prophetisches Gemälde (1955) und Himmelspforte (1959)
Maria Hafenscheer (1892-1966) wuchs in Wien als fromme Katholikin auf. Spät in ihrem Leben, ab dem 15. Januar 1948, begann sie, ohne künstlerische Fachausbildung, täglich bis zu sieben Stunden in ihrer Wohnung zu malen. Dabei will sie von einem Medium „Salomon“ geführt worden sein, das auch die Motive der Bilder vorgab. Angeblich soll sie mit beiden Händen gleichzeitig gearbeitet haben, und dazu noch an ganz verschiedenen Bildern. Zusätzlich sollen ihr verstorbene Maler zur Hilfe gekommen sein, vielleicht, nach Angabe der Künstlerin, Hieronymus Bosch bzw. dessen Geist. Auch soll Hafenscheer teilweise nicht gewusst haben, was sie eigentlich malt, sondern von überirdischen Helfern geführt worden sein. Man fragt sich da, warum diese Helfer die Bilder nicht gleich selbst hergestellt haben.
Zwischen 1948 und 1966 malte Hafenscheer 28 „prophetische Ölgemälde“. Damit ist sie die Begründerin der Prophetic Art zu einem Zeitpunkt, als dieser Begriff noch gar nicht eingeführt war. Das Gemälde Nummer 16 trägt den Titel „Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“. Es hat eine Größe von 160 x 110 Zentimeter, was in diesem Fall „Salomon“, der Geist, vorgab. Aus dem Tagebuch der Künstlerin wissen wir, dass es am 19. Januar 1955 begonnen und nach 237 Stunden am 1. April 1955 beendet wurde. Zuvor war sie von einer geheimnisvollen Unbekannten besucht worden, die ihr empfahl, ein Bild nach einer Vision des Mystikers Jakob Lorber (1800-1864) zu zeichnen. Sie gab ihr eine Skizze mit, die die Grundlage zu Bild Nr. 16 gab.
Über einem gewaltigen Tor schweben in einem feurigen Faltenwurf die Engel Cherub und Seraph. In dem Tor steht auf einem grünen Hügel eine Christusfigur. Über ihm schwebt im hellen Licht das Himmlische Jerusalem, welches hier offensichtlich ein weiteres Mal dargestellt wurde. Rechts vor der Mauer sind Personen dargestellt, die vergeblich versuchen, sich Zugang in die Gottesstadt zu verschaffen.
Erhalten hat sich auch ein einfarbiger Entwurf (Nr. 596) vom 9. Februar 1955 in Bleistift zu „Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“. Hier kann man deutlicher als am Original die Einzelheiten erkennen, wie sieben Torbauten, von denen der mittlere größer gehalten ist. Hier findet sich ein rundes Objekt, von dem Strahlen ausgehen, was auf dem Gemälde größtenteils durch die Christusfigur ersetzt wurde. Dies belegt, wie sorgfältig und abwägend sich Hafenscheer mit dem Gemälde, das sicherlich zu ihren Hauptwerken gerechnet werden darf, beschäftigte. Zahlreiche weitere Vorstudien, Skizzen, Detailstudien belegen dies.
Peter Hohenwarter: Die Bilder der Maria Magdalena Hafenscheer. Sonderdruck aus der NIW, Nr. 9 vom 3. März 1968.
Anna Novotný: Die prophetischen Bilder von Maria Magdalena Hafenscheer, Wien 1981.
Weniger bekannt ist eine Darstellung der Himmelspforte, die vier Jahre nach dem Ölgemälde entstand, am 11. Dezember 1959 (signiert und datiert unten rechts). Himmelspforten waren damals in drei Themenbereichen bekannt: im Rahmen eines mittelalterlichen Weltgerichts, im Rahmen der frühneuzeitlichen Pilgrim‘s-Progress-Romans oder, im Katholizismus, im Kontext der Maria Immaculata. Hafenscheer bietet hier eine etwas andere Erzählung an: Zahlreiche Menschen, auch viele arme und behinderte, mühen sich eine gewaltige goldene Treppe nach oben. Stufe für Stufe werden es weniger (Titel dieses 24. Bildes: „Über die Stufen der Demut zur ewigen Wahrheit“.
Ganz oben werden sie von Christus mit offenen Armen empfangen, von seinem Herzen aus wird das ganze Gemälde bestrahlt. Die Pforte besteht aus zwei Flügeln, deren Gitter sich aus filigranen Gewächsen zusammensetzt. Sie stehen nach außen gedreht offen, wir sehen also die beiden Innenseiten. Links verweist eine Waage auf das Gericht, rechts winkt ein Engel mit einem Palmwedel den Menschen entgegen.