Hinter der Ausgabe „Codices Bibliothecae Publicae Latini 74“ verbirgt sich eine Pélerinage des Autors Guillaume de Digulleville, die um 1400 entstanden ist. Sie ist Teil der Handschriftensammlung der Bibliothek der Universität Leiden. Herkunft und Entstehungshintergrund dieser Handschrift sind mangels Forschungsliteratur kaum bekannt.
In dieser Ausgabe ist das Himmlische Jerusalem nur einmal auf fol. 1r in einem runden Spiegel dargestellt, wo es, im Vergleich zu anderen Pélerinage-Editionen, relativ klein wiedergegeben ist. Erkennen kann man Türmchen mit rotfarbenen Dächern, einen offenen Zugang und helle, flächige Mauerpartien. Die Architektur bedeckt die Spiegeloberfläche komplett; das Firmament oder Wasserflächen hätten auch kaum Platz gefunden. Es handelt sich um einen mittelalterlichen Standspiegel, von dem sich tatsächlich ähnliche Exemplare erhalten haben und die zur Ausstattung eines luxuriösen Schlafzimmers gehörten. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht jedoch nicht der Spiegel, sondern der schlafende Pilger. Die Miniatur zeigt also die Szene, mit der der mittelalterliche Roman eröffnet. Auch hier lassen sich auf dem Original über dem Spiegel und an seinem Rand leichte manuelle Beschädigungen festmachen, als wäre schon damit begonnen worden, die Stadtdarstellung auszukratzen. Solche Beschädigungen sind in mittelalterlichen Ausgaben der Pélerinage öfters zu finden, als wäre es später einmal unerwünscht gewesen, die heilige Stadt im Spiegel dargestellt zu sehen. Der Bildaufbau mit einer unteren blauen Hälfte des Bettes und einer oberen roten Hälfte der Hintergrundstruktur, umschlossen von einem schmalen, schlichten Goldrahmen, korrespondiert mit der Ruhe, die die schlafende Hauptperson ausstrahlt. Bemerkenswert ist, dass er nach links blickt und somit die Erscheinung im Spiegel nicht sehen kann.
Claus Bernet: Die Spiegelvision des Guillaume de Digulleville, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 35).