MS Cod. Guelf. 1.9 Aug. 2°: Edelstein-Apokalypse (1300-1350)

Die Mauern dieser Stadt bestehen im unteren Bereich aus Edelstein, was hier besonders deutlich ins Bild gesetzt wurde. Dabei hat sich der Illustrator exakt an die natürlichen Edelsteinfarben gehalten, er zeigt grünen Jaspis, blauen Saphir, Chalzedon, grünen Smaragd, dreifarbigen Sardonyx, roten Sarder, Chrysolith, Beryll, Topas, Chrysopras, Hyazinth und Amethyst. Die zwölf Edelsteine hat der Miniaturist wie große Felsblöcke in einer Reihe am Mauersockel, welcher sich über einem stilisierten Bergplateau erhebt, aneinandergereiht. Diese Steine haben, wie mittelalterliche Kommentare zur Apokalypse zeigen, eine über sie hinausweisende spirituelle Bedeutung. Sie sind auszulegen auf die Apostel, deren Namen sie tragen, auf die Tugenden der Erwählten und auf Menschengruppen und deren Verhalten oder Schicksal – Hildegard von Bingen hat ausführlich dazu Stellung genommen.

Was vor sich vor der Stadt abspielt, ist nicht ganz klar. Es könnten Personen gezeigt sein, die nicht in die Stadt eingelassen werden, dann wären es Darstellungen von Sünden: Mord, Eitelkeit und Habgier ließe sich an den Personen festmachen. Nach anderer Interpretation sind es Bauarbeiter, die noch am Fundament der Stadt arbeiten. Einer davon (der Glatzkopf links mit Stock) scheint auf einem Fresko einige Jahrzehnte später wieder aufzutauchen, dort als Adriaen der Stock hueder bezeichnet.
Die Pretiose aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammt aus der Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel (HAB, MS Cod. Guelf. 1.9 Aug. 2°, fol. 68r). Mit einer Größe von 41 x 29 Zentimeter ist die sorgsam gearbeitete Pergamentminiatur relativ groß. Innerhalb der Ausgabe ist diese Abbildung eine der ganz wenigen, die komplett eine Seite einnimmt. Wir haben es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Prachtausgabe für Adelige oder hohe geistliche Würdenträger zu tun.

Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel, 1, Frankfurt am Main 1965.
Christel Meier-Staubach: Apocalypsis S. Johannis cum glossis, in: Faszination Edelstein, Darmstadt 1992, S. 125-126.
Hendrik Budde, Andreas Nachama (Hrsg.): Die Reise nach Jerusalem, Berlin 1995.
Helmar Härtel: Kostbarkeiten aus den Bücherschätzen der Bibliothek zu Wolfenbüttel/Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel 1998.

 

tags: Edelsteine, Gotik, Mittelalter, HAB Wolfenbüttel
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