MS Gg. 1.1: Apokalypsehandschrift (1200-1250)

Aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt eine anglo-normannische Apokalypsehandschrift, die unter der Signatur Gg. 1.1 in der Universitätsbibliothek Cambridge liegt. Drei (fol. 435v, 436v und 438) der insgesamt 53 Illustrationen zeigen das Neue Jerusalem als zeitgenössische Burg in malerischer Erzählweise, die für die folgenden englischen Apokalypsen aber erst einmal nicht weiter prägend sein sollte (jedenfalls nicht für die Exemplare, die wir heute kennen). Die Handschrift ist zusammen mit weiterem geistlichen Lehrmaterial gebunden worden, darunter auch moralische Traktate und eine mittelalterliche Enzyklopädie. Alle diese Werke entstanden in West Midlands (England).

Die erste Miniatur zeigt eine Stadt auf sehr niedrigem Fundament, in dem sogar eine kleine Himmelspforte eingebaut wurde. Darüber sind zahlreiche schlanke Türme, die wie Geschlechtertürme oder Hochhäuser das Stadtinnere anfüllen. Bemerkenswert ist die zweiflügelige Himmelspforte im Fundament der Stadt.

Fol. 435v führt die Geschichte fort, nun stehen Johannes und ein Engel vor der Stadt, in Form einer normannischen Burg, etwa Rochester Castle. Bei dieser Stadtdarstellung wurde das Fundament durch einen grünen Hügel ersetzt, an dem Grasbewuchs angedeutet ist. So wird es zum Weideland für das eigenartige gehörnte Tier, dass sich vor der Pforte positioniert. Vermutlich ist es das apokalyptische „Lamm mit den sieben Hörnen“. Obwohl dem Illustrator das Aussehen dieses Tiers bekannt war, ist es erstaunlich, zu welchen eigenartigen Formen mittelalterliche Handschriften mitunter kommen.

Fol. 438 schließt das Thema Himmlisches Jerusalem in dieser Handschrift ab. Der Engel ist mit Johannes an die rechte Seite gewechselt, um Christus in der Mandorla Platz zu machen. Obwohl das Lamm ein Symbol für Christus ist, findet man es hier ebenfalls, diesmal auf dem Schoss der Christusfigur. Von dort strömt das Wasser des Lebens nicht aus der Stadt, sondern in diesem Falle in die Stadt. Perspektivisch interessant biegt die Mauer quer nach hinten ab, so dass ein roter himmlischer Bereich von einem blauen irdischen Bereich durch die Stadt mit ihrem hohen Turm abgetrennt ist. Originell und einzigartig ist auch der Einfall, den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis aus einer Wurzel wachsen zu lassen.

Richard Kenneth Emmerson, Suzanne Lewis: Census and bibliography of medieval manuscripts containing Apocalypse illustrations, ca. 800-1500, in: Traditio, 41, 1985, S. 367-409.
Walter de Biblesworth: Le tretiz. From MS. G. (Cambridge University Library Gg. 1.1) and MS. T (Trinity College, Cambridge 0.2. 21), together with two Anglo-French poems in praise of women (British Library, MS. Additional 46919), Aberystwyth 2009.
Paul Binski, Patrick Zutshi, Stella Panayotova: Western illuminated manuscripts. A catalogue of the collection in Cambridge University Library, Cambridge 2011.

 

tags: Anglonormannisch, Cambridge, England, Geschlechterturm, Hochhaus, Lamm, Gotik
Share:
error: