Bei dieser lateinischen Bibelausgabe wird es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein Exemplar aus einer Klosterschreibstube der Benediktiner in Burgund handeln, die heute in der Stadtbibliothek von Dijon zu finden ist (Signatur MS 2). Bei der farbenprächtigen Miniatur auf fol. 470v verschmelzen mehrere Elemente zu einer neuen Bildeinheit, die in dieser Kombination im Mittelalter bislang einmalig ist.
Der architekturale Charakter der Stadt kommt in den beiden gestaffelten Türmen zum Ausdruck, die sich beidseitig zu der zentralen Christusgestalt nach oben schrauben. Eine Arkadenreihe aus zwölf Bögen schiebt sich von links nach rechts, zerteilt die Christusgestalt in Brusthöhe und schiebt sie in den Bildhintergrund. Auf der rechten Seite schauen unterschiedliche Heilige aus den Fenstern oder Öffnungen des Seitenturms. Auf der linken Seite ist ganz außen der Lebensfluss zu sehen, mit den sieben roten Sternen aus der Apokalypse, Kapitel 1, Vers 20. Unterhalb der Türme findet man auf beiden Seiten zwei offene Tore, wobei links eine stehende Person mit einem Buch – vermutlich Johannes – zu sehen ist. Dazwischen ist ganz unten eine nackte, liegende Person zu finden. Diese wird gerade vom Tod auferweckt und wird nun von einer Hand in das Himmlische Jerusalem gezogen, in dem das ewige Abendmahl gefeiert wird; repräsentiert durch einen Abendmahlstisch mit Menora und mehreren blauen Patenen in einem Medaillon darüber. In diesem erscheint unten der Rocksaum und die Füße der eingangs erwähnten zerteilten Christusgestalt, womit angedeutet ist, dass die gesamte Stadt von der Präsenz Gottes erfüllt sei.
Charles Oursel: Les manuscrits à miniatures de la Bibliothèque de Dijon, 1923 (Bulletin de la société française de reproductions de manuscrits à peintures, 7).
Yolanta Zaluska, Marie-Françoise Damongeot, France Saulnier, Guy Lanoe: Manuscrits enluminés de Dijon, Paris 1991.
Claus Bernet: Vorromanik, Ottonik, Romanik, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 29).